Aus der Kulturgemeinschaft
Erstmals in der Geschichte der Kulturgemeinschaft gibt es 2023/24 ein Schwerpunktthema – und das ist gesellschaftlich hochaktuell: Unter dem Motto „EXTRA queer“ wird die Bedeutung queerer Menschen für die Kunst- und Kulturgeschichte beleuchtet. Programmmacher Michael Wenger und Regisseur Axel Brauch erläutern im Interview, was es damit auf sich hat.
Herr Wenger, das Schwerpunkt-Thema hat vermutlich manche überrascht. Ich frage einmal ganz plakativ: Erwartet uns damit hier eine Weiterführung des Christopher Street Days in der Kunstvermittlung?
Michael Wenger: Nein, stattdessen erwartet Sie eine Weiterführung der Idee, die uns bei der Kulturvermittlung seit langem am Herzen liegt: Kunst und Kultur aus ungewohnten Perspektiven zu betrachten und dabei Dinge zu entdecken, über die man sonst nirgendwo lesen kann. Das ist in diesem Fall ungemein spannend und mitreißend – so viel kann ich jetzt schon versprechen.
Wie war denn die Reaktion auf das Thema unter den Mitgliedern?
Michael Wenger: Insgesamt sehr positiv. Wir haben aber auch vier, teilweise bewusst verletzend formulierte Rückmeldungen bekommen. Im Jahr 2023 scheint das Thema bei manchen immer noch Aggressionen zu wecken.
Wie kamen Sie denn zur Idee, „queer“ zum Schwerpunktthema zu machen?
Michael Wenger: Konkreter Auslöser war die szenische Lesung „Liebe ist Liebe“, bei der Axel Brauch Regie geführt hat. Im Mittelpunkt stehen queere Texte aus den letzten zwei Jahrhunderten – darunter auch Briefe der Württembergischen Könige Friedrich und Karl. Als Kunsthistoriker war das für mich eine Inspiration, der ich mich nicht entziehen wollte. Die Könige Friedrich und Karl bilden gemeinsam mit Ludwig II. die Klammer für das Programm. Über homosexuelle Monarchen werde ich auch beim Einführungsvortrag zum Kunsterlebnis „Viscontis Ludwig II.“ im atelier am bollwerk sprechen.
Während die persönlichen Neigungen König Karls immer wieder thematisiert werden, wird Friedrich I. selten als Homosexueller dargestellt ...
Michael Wenger: Das ist richtig. Wenn von Friedrich die Rede ist, geht es in der Regel um seine verheerende erste Ehe mit Charlotte Auguste Mathilde oder um die äußerst schlechte Beziehung zu seinem Sohn Wilhelm. Das zweite große Thema ist die Strenge, mit der Friedrich regiert hat. Auch der ausgesägte Schreibtisch ist extrem populär.
Axel Brauch: Gerade deshalb war es uns wichtig, in einer szenischen Lesung einmal einen anderen Aspekt Friedrich Wilhelms zu beleuchten und damit diesen Menschen in seiner Ambivalenz zu zeigen. Ausgangspunkt waren die Briefe, die Friedrich an Johann Carl von Zeppelin geschrieben hat. In diesen Briefen, die sich ja an einen Mann richten, zeigt sich Friedrich als besorgter, liebevoller und sehnsüchtiger Mensch, der sich in seiner Zugewandtheit in nichts von einem heterosexuellen Menschen unterscheidet. Er hat für seinen Geliebten sogar ein Mausoleum errichten lassen – das ist für sich genommen schon außergewöhnlich.
Dieses Mausoleum erinnert ja enorm an das Mausoleum auf dem Württemberg …
Michael Wenger: Eine klare Analogie! Das meine ich eingangs mit „Kunst und Kultur aus einer ungewohnten Perspektive betrachten.“
Die Zusammenarbeit mit Schauspieler:innen bei den Kunsterlebnissen ist etwas Neues. Was genau erwartet uns denn zum Beispiel beim Kunsterlebnis „Fritz meets Zippel“?
Michael Wenger: Unser Weg beginnt im Friedrichsgarten des Ludwigsburger Schlosses und führt zum Zeppelin-Mausoleum – also quasi von der Wiege der Beziehung zwischen Friedrich und Zeppelin bis zu ihrer Bahre. Ich übernehme dabei den historischen Part, in den Axel Brauch & Co immer wieder einhaken.
Axel Brauch: … Und zwar durch Literatur, Theater und Tanz. Wir haben dazu Künstler:innen und Autor:innen ausgewählt, die die Thematik ins Gegenwärtige tragen. Dazu gehören zum Beispiel Texte von Else Lasker-Schüler, August von Platen bis hin zu ganz aktuellen Autor:innen wie Kae Tempest und Angela Steidele.
Michael Wenger: Das ist auch das Konzept der Kunsterlebnisse „Queere Malerei trifft darstellende Kunst“, und „Alles Liebe, Dein Tully“. Alles ist maßgeschneidert, es gibt nichts von der Stange. Wir sind an den Original-Schauplätzen, wie zum Beispiel dem Zeppelin-Mausoleum oder die Villa Berg.
Wie hat der Württemberger Hof eigentlich damals auf die Homosexualität der Monarchen reagiert?
Axel Brauch: Der Adel hat sich individuell in seiner Wahrnehmung von Partnerschaft definiert. Das ist es, was ich so interessant finde, weil es in das Heute hineinstrahlt. Wenn man damals schon angefangen hätte, anders mit dem Thema umzugehen, hätte man viele Kämpfe und viel Leid ersparen können. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese queeren Menschen schon immer da waren, als Schauspieler:innen, Ärzt:innen, König:innen und und und, die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Das ist ja keine Erfindung der heutigen Zeit.
Im Vergleich zu den beiden Württembergischen Königen hatte es Ludwig II. schwerer, seinen Neigungen zu folgen. Er ist Thema gleich mehrerer Veranstaltungen: eines Kunsttags in München, eines zweiten in Füssen, einer Kunstreise zu den wichtigsten Schauplätzen und eines Kinoabends …
Michael Wenger: Es gibt bis heute keinen Beleg, dass Ludwig II. seine Homosexualität jemals ausgelebt hat. Was aber gut belegt ist, ist, dass er schwer unter seiner Neigung gelitten hat. Ludwig wurde ein selbstbestimmtes Leben verwehrt. Das Paranoide in seiner Person und das Ausschweifende in seinen Kunstprojekten: Das alles ist Sublimation. Mir persönlich geht es darum, auch die Augen zu öffnen für die Tragödie, die dahinter steht.
Die Figur Ludwig II erfährt ja immer noch eine Verklärung …
Michael Wenger: Ja, das belegt auch eine Begebenheit aus der Zeit, als Luciano Visconti seinen Ludwig-Film drehte: Damals kamen Bauern mit Dreschflegeln und Mistgabeln und bedrohten das Filmteam, weil sie glaubten, ihr König werde verunglimpft. Den Film haben wir auch im Programm – selbstverständlich ungekürzt.
Ein Kunsttag führt nach Füssen: Zu Ludwig2 – Das Musical
Michael Wenger: Auch das: sehr sehenswert! Ganz wichtig ist mir hier aber etwas Formelles: Der im Programm abgedruckte Termin wurde vom Festspielhaus verschoben. Die Aufführung findet erst am 29. September 2024 statt. Auch der Kunsttag in München wurde verschoben: vom 24. März auf den 7. April 2024.
Wie steht die Kulturgemeinschaft eigentlich generell zu einem Thema wie Queerness?
Michael Wenger: Wir haben Toleranz bereits in unseren Leitsätzen verankert. Dort heißt es „Wir bekennen uns zur Freiheit der Kunst und stellen uns entschieden gegen jede Form von Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Rechtsextremismus.“
Gibt es noch etwas worauf Sie sich freuen?
Michael Wenger: Auf alles! Als erstes aber ganz besonders auf die Auftaktveranstaltung am 13. Oktober. Mit Tobias Bednarz haben wir einen hochkompetenten Kunstwissenschaftler gewonnen, der sich in dieser Thematik auskennt wie kaum ein anderer. Er wird auch beim Kunsterlebnis „Queere Malerei“ durch die Galerie Thomas Fuchs führen. Er ist eine Entdeckung – und ich bin stolz, dass er dabei ist.
Bleibt noch etwas?
Michael Wenger: Ja, ich möchte mich schon jetzt beim gesamten Team für die gute Zusammenarbeit bedanken – namentlich bei Margherita Lo Tito, die die Reihe mit mir konzipiert hat. Dankbar sind wir auch, dass Gesine Mahr, die in Stuttgart sehr bekannt ist, bei den Kunsterlebnissen Kostüme und Ausstattung übernommen hat. Dabei sind kleine Gesamtkunstwerke entstanden. Lassen Sie sich das nicht entgehen!
Alle Veranstaltungen im Rahmen von EXTRA Queer finden sie hier.