Zurück zur Moderne
Stuttgarter Ballett feiert mit „One of a Kind“ Jirí Kylián
Das abendfüllende Tanzstück „One of a Kind“ hat einen ungewöhnlichen Auftraggeber: Bestellt wurde es 1998 vom Innenministerium der Niederlande beim Nederlands Dans Theater zur Feier des 150. Jubiläums der Landesverfassung. Choreograf Jirí Kylián, der langjährige Direktor der Avantgardekompanie in Den Haag, versammelte zu diesem Anlass nicht etwa holländisches Volksgut wie Tulpen, Holzschuhe und Rembrandt, sondern er schuf ein abstraktes Werk, das die Freiheit des Menschen feiert, die für ihn im Zentrum dieser Verfassung steht. Wie existiert ein Individuum in einer Gemeinschaft, wo es mit der Freiheit, der Verschiedenheit anderer Menschen konfrontiert wird, wie weit geht unsere Toleranz? Eine einzelne Frau ist die zentrale Figur, deren Freiheit in Begegnungen mit der Gruppe und anderen Individuen auf die Probe gestellt wird.
Ganz bewusst holte sich der geborene Tscheche Jirí Kylián Menschen aus allen Ländern als Mitarbeiter: Der japanische Stararchitekt Atsushi Kitagawara entwarf das Bühnenbild aus abstrakten, sich bewegenden Elementen, der Modeschöpfer Yoshiki Hishinuma die Kostüme, Lichtdesigner Michael Simon stammt aus Deutschland und der australische Komponist Brett Dean verarbeitete in seiner Partitur Renaissance- Musik, Benjamin Britten, den kehligen Gesang der Inuit oder Vogelrufe. Ein Cellist sitzt auf der Bühne und spielt live zu dieser musikalischen Landschaft aus mehreren Jahrhunderten.
Mit der Erstaufführung des Werkes feiert das Stuttgarter Ballett seinen ehemaligen Tänzer und Choreografen Jirí Kylián, der hier vor fünfzig Jahren seine Weltkarriere begann. Sein fließender, eleganter und hochmusikalischer Tanzstil schreibt die schönen Linien des klassischen Balletts in eine gedankenreiche, suchende Tanzphilosophie fort, er ist mit seinen zahlreichen Werken fürs NDT zu einer prägenden Sprache der europäischen Ballettmoderne geworden. Für Stuttgart schuf Kylián Stücke wie „Vergessenes Land“ oder „Stepping Stones“, die seit Jahren fest zum Repertoire gehören. Der 71-jährige Choreograf kam zu den Proben nach Stuttgart und arbeitete vor der Premiere mit den Tänzern. Nach der reinen Klassik der ersten Spielzeithälfte wendet sich die Kompanie mit dem gedankentiefen Tanzstück wieder der Moderne zu.
Angela Reinhardt