Weiße Haare sollen nicht freien
Die Oper Stuttgart bringt mit Donizettis „Don Pasquale“ einen musikalischen Leckerbissen
Die Leitung an der Staatsoper Stuttgart hat das Regie- und Dramaturgie-Tandem Jossi Wieler und Sergio Morabito, das sich bisher eher durch gedankenreichen Ernst als durch Komik bewährt hat. Man darf folglich neugierig sein, wie es mit dem Stoff einer Verkleidungs-, Intrigen- und Typenkomödie umgeht.
Meist gibt es in der Oper nichts zu lachen. Zwar hat sich im Lauf ihrer Geschichte die Variante der Komischen Oper herausgebildet, die in Frankreich opéra-comique und in Italien opera buffa heißt. Aber das vorherrschende Verständnis von Oper war und ist immer noch das einer feierlichen Veranstaltung, in der sich die gehobenen Stände spiegelten und spiegeln. Wie in der Tragödie, so gehören in der opera seria, der „ernsten Oper“, die Protagonisten der herrschenden Klasse, dem Adel also oder gar Königshäusern oder der Helden- und Götterwelt der Antike an. Ihr Schicksal wird überhöht, bewundert, beweint. Über sie lacht man nicht. In der opera buffa hingegen besteht das Personal wie in der frühen Komödie aus Angehörigen der „unteren Schichten“. Sie dürfen verhöhnt, der Lächerlichkeit preisgegeben werden wie die laienhaft schauspielenden Handwerker in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Operngeschichte ist ein Stück Sozialgeschichte. Sie verdeutlicht, wieso es eine Majestätsbeleidigung, nicht aber eine Bauern- oder Domestikenbeleidigung gibt.
Wenn der Königssohn Don Carlos vergeblich um die geliebte Elisabeth wirbt, ist das eine tragische Geschichte. Der alte Mann auf Freiersfüßen hingegen ist eine komische Figur, die sich zum Gespött macht. Sie gehört zum festen Personalbestand der Commedia dell‘arte und eben auch der opera buffa. Das Libretto zu Gaetano Donizettis 1843 in Paris uraufgeführtem, in Rom zur Zeit der Entstehung spielendem „Don Pasquale“ schrieb, zusammen mit dem Komponisten, Giovanni Domenico Ruffini unter dem Pseudonym Michele Accursi. Es basiert auf der Vorlage „Ser Marcantonio“, die der produktive Librettist Angelo Anelli 35 Jahre zuvor für den Opernkomponisten Stefano Pavesi geschrieben hatte.
Der Arzt Malatesta schwätzt dem geizigen Junggesellen Don Pasquale seine eigene Schwester Norina als Braut auf. Norina ihrerseits liebt Ernesto, den enterbten Neffen Don Pasquales und Freund Malatestas. Nach dessen Plan soll sie Don Pasquale nach einer Scheineheschließung das Leben zur Hölle machen. Am Ende diverser Verwicklungen bekommt Ernesto seine Norina und Don Pasquale muss sich eingestehen, dass er ein Narr war. Geläutert nimmt er die Belehrung von Norina auf: „Die Moral von der Geschichte / aufzufinden ist nicht schwer, / dass ich kurz sie Euch berichte, / bitt‘ ich um Gehör: / Weiße Haare sollen nicht freien / um der Jugend Lockenkranz, / sonst gibt‘s böse Balgereien / und mit allen Teufeln Tanz.“ Darauf Pasquale: „Die Moral hat böse Spitzen, / doch auf mich, da passt sie ganz, / und mit Recht ließ Blut mich schwitzen / dieser freche Mummenschanz.“
Donizettis musikalische Einfälle verweisen immer wieder zurück auf Rossini und seinen „Barbier von Sevilla“. Ein Leckerbissen: das Duett von Don Pasquale und Doktor Malatesta „Cheti, cheti, immantinente“ („In den Garten, leise, leise“), ein „Patter Song“, bei dem also, wie im berühmten „Largo al factotum“ von Rossinis Barbier, auf jede Silbe ein Ton fällt.
Die Leitung an der Staatsoper Stuttgart hat das Regie- und Dramaturgie-Tandem Jossi Wieler und Sergio Morabito, das sich bisher eher durch gedankenreichen Ernst als durch Komik bewährt hat. Man darf folglich neugierig sein, wie es mit dem Stoff einer Verkleidungs-, Intrigen- und Typenkomödie umgeht. Wird es die witzigen Elemente betonen oder die bedenkenswerte zweite Ebene dieses Spiels über menschliche Torheit herausarbeiten? Werden die beiden gar Empathie für das Liebesverlangen eines alten Menschen erwecken? Oder werden sie sich auf jenen Aspekt konzentrieren, der die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts mit unserer Gegenwart verbindet: die entmenschlichende Qualität des Geldes und des Erbens?
Am Dirigierpult wird das Stuttgarter Publikum Giuliano Carella wiederbegegnen, der hier schon mehrmals für italienisches Repertoire zuständig war. Auch in der Titelrolle ist ein vertrauter Bekannter zu sehen und zu hören. Enzo Capuano gehört zwar nicht zum Ensemble der Staatsoper, ist aber als Belcanto-Spezialist seit mehreren Jahren ein willkommener Gast.
Thomas Rothschild