Vom Wilhelms- zum Stadtpalais
Das neue Stadtmuseum bildet in der nächsten Spielzeit den Schwerpunkt des Kunstprogramms
Ein Bauwerk – viele Facetten. Das Stadtpalais mit dem neuen Museum für Stuttgart wird in der Saison 2018/2019 im Mittelpunkt unserer Reihe »Kunst im Fokus« stehen. Michael Wenger, der das Programm konzipiert hat, verrät vorab, was Sie erwartet. Herr Wenger, in Stuttgart wurde lange Jahre wenig Aufhebens um die Stadtgeschichte gemacht. Warum? War das Leben am Hof der Württemberger so provinziell?
Im Gegenteil! Nehmen wir zum Beispiel die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wilhelm I. war ein großer Kunstliebhaber und Sammler. Er legte Wert darauf, up to date zu sein. Der Hof konnte in jeder Hinsicht mit anderen in Europa konkurrieren.
Unter Wilhelms Herrschaft wurde das Wilhelmspalais gebaut, das nun »Stadtpalais« heißt und das neue Museum für Stuttgart beherbergt. Die Kulturgemeinschaft stellt das Gebäude für eine Saison ins Zentrum von »Kunst im Fokus«. Fast alle Formate – von der Kunstführung über das Kunsterlebnis und den Kunsttag bis hin zur mehrtägigen Kunstreise – greifen das Thema auf. Hat das Gebäude denn so viel zu erzählen?
Ja, definitiv. Der Ort ist ein Nabel – eine Stelle also, an der verschiedene Stränge der Geschichte und der Kunst zusammenlaufen. Man kann überraschend viele Aspekte von diesem Ort aus erschließen. Genau das ist für mich der eigentliche Auftrag der Kunstgeschichte und damit auch der Kulturgemeinschaft: Beziehungen zwischen Orten, Werken und Menschen sichtbar zu machen.
Eine dieser Verbindungslinien ziehen Sie zwischen Giovanni Salucci, dem Architekten des Wilhelmspalais, und den Villen des italienischen Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio. Im Frühjahr 2019 steht deshalb eine Kunstreise ins Veneto auf dem Programm.
Salucci hat in seinen Studienjahren Italien bereist und war von den palladianischen Villen tief beeindruckt. Das neue Stadtpalais ist ein geglückter Kunsttransfer von der Brenta an den Nesenbach. Unsere Reise führt ins Mutterland dieser Architektur. Auch ein Tag in Venedig steht auf dem Programm.
Ein Kunsttag beschäftigt sich mit den Architekten Wilhelms I. Die Namen Christian Friedrich von Leins und Johann Michael Knapp sind in Stuttgart nicht unbedingt in aller Munde.
Dafür sind ihre Bauwerke auf jeder Postkarte zu sehen: Der Königsbau, der Pavillon und der Springbrunnen auf dem Schlossplatz, das sind Werke von Leins. Knapp hat die Entwürfe für die Jubiläumssäule geliefert. Ich verspreche Ihnen, nach diesem Kunsttag werden Sie in Stuttgart und Umgebung noch deutlich mehr Bauwerke dieser Architekten kennen.
Das Wilhelmspalais wurde in den letzten Jahren vom Stuttgarter Architekturbüro Lederer + Ragnarsdóttir + Oei umgebaut …
Das ist ein anderer Strang, dem wir folgen werden. Wir tun das auf einem Kunsttag, der uns vom Stadtpalais zu den Hauptwerken des Architekten- Trios führt – unter anderem zum Hospitalhof. Wir stellen die schillernde Figur Wilhelm I. ins Zentrum. Ein Kunsterlebnis greift sein Verhältnis zu den Frauen auf. Man darf nicht vergessen: Der König hat das Palais für seine beiden Töchter Marie und Sophie bauen lassen. Das war damals mehr als ungewöhnlich. Das zweite Kunsterlebnis beschäftigt sich mit Wilhelm I. als Sammler. Er hat sich unter anderem für Erotica interessiert. Etliche Werke befinden sich heute in der Staatsgalerie. Hier werden wir sicher Überraschendes zu berichten wissen.
Im Kunst-Abo begeben Sie sich dann direkt ins Gebäude ...
Ja. Mit dem Kunst-Abo begeben wir uns im Wilhelmspalais auf Spurensuche und lassen gemeinsam die Baugeschichte Revue passieren. Andere Themen beschäftigen sich mit der aktuellen Sonderausstellung »Sound of Stuttgart« und mit der Dauerausstellung »Stuttgarter Stadtgeschichten«. Wir sind also ganz am Objekt.
Unter anderem auch im Gartengeschoss, dem neuen »Stadtlabor«.
Das ist eine Veranstaltung, auf die ich mich besonders freue. Wir besuchen die Ideenwerkstatt, in der Kinder und Jugendliche sich kreativ mit Stadtplanung und Architektur beschäftigen können. Ein neuer Ort der Inspiration für Stuttgart.
Die Fragen stellte Angelika Brunke