Trotz Brexit: Viva Europa!
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele bieten Klassik und Jazz, Tanz und sogar Comedy
Ob Sinfonik, Kammermusik, Jazz, Musik-Satire, Ballett, Kunstlied, phantastische Musik-Szenerie oder Klassik im Freien mit Orchester und Feuerwerk – die Kulturgemeinschaft hat all das bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen von Mai bis Juli diesen Jahres für ihre Mitglieder im Angebot.
Am 12. Mai gibt der renommierte Jazz-Pianist und Komponist Fred Hersch einen Solo-Abend im Ordenssaal des Ludwigsburger Schlosses (19 Uhr). Der 1955 in Cincinnati geborene Musiker ist als Grenzgänger zwischen Jazz und Klassik unterwegs. Nach frühem Klavierunterricht studierte Hersch in Boston Musik und machte sich dann in New York als Begleitmusiker bei Band-Projekten von Stan Getz, Joe Henderson, Gary Burton, Art Farmer oder Charlie Haden einen Namen. Zu seinen Vorbildern zählte damals Bill Evans. Es sollte nicht lange dauern, bis auch Herschs eigene Projekte und seine in der Szene gern als »impressionistisch « rezipierten Soloprogramme international aufhorchen ließen. In den 1990er Jahren hatten seine Alben mit Paraphrasen bekannter Titel von Thelonious Monk und den Musical-Legenden Richard Rodgers und Oscar Hammerstein Erfolg.
Im Chaos des Brexits wurden ganze Handlungsstränge von Puccinis »Turandot« verdreht
Zur »kleinsten Operette der Welt« schrumpft bei dem britischen Music-Comedy-Duo Carrington-Brown (Titelfoto) Giacomo Puccinis letzte Oper »Turan dot«. Mit ihrem »einmaligen Bühnenspektakel« kommen die beiden miteinander liierten, seit mehr als zehn Jahren im Zweierpack samt einem Cello namens Joe auftretenden Künstler Rebecca Carrington und Colin Brown am 23. Mai ins historische Ludwigsburger Schlosstheater (20 Uhr). Brown war unter anderem als Background-Sänger von Robbie Williams auf Tournee, bevor er die Cellistin Carrington kennenlernte und mit ihr nach Berlin zog.
»Turnadot« heißt die in Ludwigsburg zur »Weltpremiere « gelangende Schrumpf-Version der Puccini-Vorlage. Den lädierten Namen der chinesischen Prinzessin und des Stücks erklärt das Duo mit dem Chaos des Brexits. In dessen Turbulenzen seien nicht nur Sänger, Orchestermusiker und die ganze Crew der Produktion abhandengekommen, sondern auch ein paar Handlungsstränge der Oper verdreht worden. »Im deutschen Exil« habe man sich also daran machen müssen zu retten, was zu retten war. Das Publikum kann sich auf eine musikalisch und textlich brillante Problemlösung freuen.
Kammermusik im kleinen Kreis verspricht ein Abend mit den französischen Klassikstars Gautier Capuçon und Jean-Yves Thibaudet am 7. Juni im Theatersaal des Ludwigsburger Forums am Schlosspark (20 Uhr). Auf dem Programm stehen Cellosonaten von Claude Debussy, Johannes Brahms und Sergej Rachmaninow. Wenn der Cellist Capuçon und der Pianist Thibaudet gemeinsam Brahms’ hochromantischen Klassizismus, Debussys farbige Klangzaubereien und Rachmaninows episch weitgespannte Dialoge ohne Worte lebendig werden lassen, darf man ein musikalisches Gipfeltreffen erwarten.
Mit zwei neuen Produktionen kehrt am 15. Juni das Ballett am Rhein ins Ludwigsburger Forum zurück (20 Uhr). Mark Morris hat seinen fließenden Tanzstil in »Pacific« mit Musik von Lou Harrison kombiniert. Der hierzulande kaum beachtete Komponist wurde 1917 in Portland (Oregon) geboren. Die Spannweite seiner Werke reicht von kirchentonaler Archaik und nichttemperierter Stimmung bis zu Mikrotonalität, ethnischen Elementen und zur Verwendung selbstgebauter Instrumente. Martin Schläpfers Choreografie der »44 Duos« für zwei Violinen von Béla Bartók spürt Parallelitäten des Musikerund Tänzerlebens nach.
»Orchester mit Flügeln« und mit den Schwestern Katia und Marielle Labèque
Wie sein älterer Landsmann Fred Hersch ist der Komponist und Gitarrist Bryce Dessner, Jahrgang 1976, in Cincinnati aufgewachsen. Er hat sich zunächst als Mitglied und Songwriter der Indie-Rock-Band »The National« einen Namen gemacht. Mittlerweile hat er weltweit auch Erfolg als Tonsetzer zeitgenössischer Kunstmusik. Namhafte Musiker wie das Kronos Quartet, das Ensemble Intercontemporain, Steve Reich, Matthias Pintscher oder Gustavo Dudamel führen seine Werke auf.
Das Klavierduo Katia und Marielle Labèque hat im Vorjahr Dessners neues Konzert für zwei Klaviere mit dem London Philharmonic Orchestra aus der Taufe gehoben. Jetzt präsentieren die beiden berühmten Schwestern diese Komposition am 28. Juni im Forum am Schlosspark (20 Uhr). Das Orchester der Schlossfestspiele spielt unter der Leitung seines Chefdirigenten Pietari Inkinen. Unter dem Motto »Orchester mit Flügeln« erklingt neben weiteren Stücken auch Bartóks beliebtes Konzert für Orchester.
Einen Tag später bieten Christiane Karg (Sopran), Antoine Tamestit (Bratsche) und Malcolm Martineau (Klavier) im Ordenssaal einen Kammermusik abend mit Werken von Franz Schubert, Charles Martin Loeffler, Hugo Wolf und anderen. Karg tritt nicht nur in großen Opernhäusern auf, sondern pflegt auch die intime Liedkunst. In Ludwigsburg sind am 29. Juni geistliche Gesänge aus Wolfs »Spanischem Liederbuch«, Werke des amerikanischen Spätromantikers Loeffler und die »Arpeggione«- Sonate von Schubert zu hören (20 Uhr).
Mit Musik unter anderem von Richard Wagner, Steven Prengels und der Band Rammstein begeben sich die Schauspieler und Musiker Pascale Platel, Tom Goossens, Witse Lemmens und Gregory Van Seghbroeck als Quartett von Sinnsuchern am 4. Juli im Schlosstheater in fremdartige Sphären (20 Uhr). Der als »Musikalische Phantasie« angekündigte Abend mit dem Titel »Berg« wird inszeniert von Arno Synaeve und dirigiert von Prengels. Die Protagonisten dieses an Thomas Manns »Zauberberg« gemahnenden Stücks stoßen irgendwo in den Alpen zufällig aufeinander…
Das Klassik Open Air feiert Europa mit Komponisten aus der alten Welt
Am 13. Juli gibt es mit Musik von Hector Berlioz, Antonin Dvorák, Edward Elgar und weiteren Tonsetzern das beliebte Klassik Open Air auf der Festinwiese beim Seeschloss Monrepos (21 Uhr) – mit anschließendem Feuerwerk. Pietari Inkinen dirigiert das Festivalorchester. »Viva Europa!« heißt für ihn die Parole nach einem Jahrhundert, in dem sich der Kontinent in zwei Weltkriegen selbst zerfleischte, bevor es zur europäischen Einigung und zum Ende des Kalten Kriegs kam. Dem Brexit zum Trotz darf da neben Komponisten vieler EU-Länder auch Elgar nicht fehlen!
Werner M. Grimmel