Suff, Sünde und ein Strumpfband
Die Komödie im Marquardt erzählt von einem heiteren Skandälchen um König Wilhelm II.
Strumpfbänder haben im Laufe der Geschichte immer wieder für Kuriosität gesorgt. Bertha Benz, die Gattin des Kraftfahrzeugvaters Carl Benz, verwendete etwa ihr Strumpfband, um anno 1888 zwischen Mannheim und Pforzheim bei der allerersten Automobilfernfahrt ein defektes Kabel zu isolieren. Auch in der Literatur garantiert das Strumpfband Dramatik: In Schillers »Kabale und Liebe« verursacht es Zwist zwischen dem Hofmarschall und Oberschenk von Bock, Goethes liebewitternder Faust wendet sich ob seiner amourösen Gefühle für Margarete an Mephistopheles: »Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust, ein Strumpfband meiner Liebeslust!« Und in der Stuttgarter Komödie im Marquardt setzt ein Strumpfband ebenfalls einiges in Gang: »Ein Strumpfband seiner Liebeslust« heißt das neue Stück von Tobias Goldfarb, das am 22. März Premiere feiert. Hier taucht das Strumpfband in einem Trinkbecher auf. Klingt zunächst harmlos, wenngleich nicht appetitlich. Allein: Es handelt sich um den Trinkbecher des Königs Wilhelm II. von Württemberg, der im Jagschloss nach einer durchzechten Nacht mit seinen Freunden erwacht und von nichts mehr weiß. Königin Charlotte ist freilich nicht begeistert, die Journalistin Fräulein Weiß wittert Schlagzeilen: Ein so integrer Mann wie Wilhelm II. wird doch nicht – nein, undenkbar. Das inkriminierte Strumpfband muss untersucht, die Sachlage mit schwäbischer Akkuratesse aufgearbeitet werden. Ein Fall für Kommissar Holzapfel vom Kommissariat Stuttgart. Treue Theatergänger erinnern sich: Kommissar Holzapfel tauchte bereits als Nebenrolle in Goldfarbs »Sherlock Holmes und die Kehrwoche des Todes« auf. »Die Figur, gespielt von Norbert Aberle, kam unglaublich gut an, obwohl sie nur einen kleinen Auftritt hatte«, erzählt Goldfarb, der selbst Regie führt. Deshalb hatte man das Gefühl, man müsse den Kommissar nochmals auf die Bretter bringen. Und warum ermittelt Holzapfel am königlichen Hof im Jahre 1908? Die Auffälligkeit bei König Wilhelm II. ist, dass es keine Auffälligkeiten gibt: »Es gab keine Bestechungen, keine Skandale, keine moralisch zweifelhaften Vorkommnisse«, so der Autor. Umso reizvoller also die Überlegung, diesem Monarchen etwas in die Schuhe zu schieben. Bei aller Heiterkeit existieren aber auch einige bedenkliche Parallelen zwischen den Jahren 1908 und 2018. Das Stück spielt in einer Zeit, in der vieles im Wandel ist, in der sich der Erste Weltkrieg bereits abzeichnet. »Heutzutage ist es natürlich nicht ganz so schlimm«, so Goldfarb, »aber man hat das Gefühl, es entgleitet uns etwas, die Gesellschaft bricht auseinander. Das war damals ähnlich. Für uns ist es daher interessant, diese Situation anzugucken und aus den Fehlern von damals zu lernen.« Dennoch ist »Ein Strumpfband seiner Liebeslust« natürlich zuvörderst eine Komödie mit überzeichneten Figuren, bei der gelacht werden soll, wenn auch vor einem gesellschaftlich relevanten Hintergrund: »Eine Komödie, die nicht auf ernstem Boden steht, ist keine. Man braucht bei einer Komödie immer auch Substanz, sonst berührt es einen nicht«, sagt der Regisseur. Gut also, dass in solch unsicheren Zeiten ein gelassener Kommissar wie Holzapfel mit seinem Motto »Erscht ‘s Veschper, dann d‘ Verhaftung« zur Tat schreitet. Einer, der sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt. Nicht einmal von etwas so Sündigem wie einem Strumpfband.
Cornelius W. M. Oettle