Spiel um Leben und Tod
Jean-Paul Sartre am Theater der Altstadt: Uwe Hoppe inszeniert den Existenzialismus
Da ist ein Café mit vielen Stühlen, ein Chanson liegt in der Luft, politischer Kampf. Irgendwo in Osteuropa spielt die Szene, die Jean-Paul Sartre erdachte. Im Theater der Altstadt könnte sie auch in Paris spielen, in der Zeit, in der Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus dort lebten. Uwe Hoppe hat »Die schmutzigen Hände« inszeniert, nahe am Original und doch auch als eine Hommage an diese Jahre und ihre Philosophie; er beschwört den Geist des Existenzialismus herauf und liefert zugleich einen packenden Bühnenkrimi.
Jean-Paul Sartres erfolgreichstes Bühnenstück der Nachkriegszeit erschien zuerst 1948. »Die schmutzigen Hände« war für ihn eine Abrechnung mit der kommunistischen Partei, ist bis heute eine bittere Reflexion über Politik und Moral geblieben. Das Stück funktioniert als Rückblende. Hugo hat gemordet, war in Haft, ist nun wieder auf freiem Fuß. Er ist der junge Mann aus bürgerlichem Hause, ein Intellektueller, der eine politische Tat begehen wollte. Sein Auftrag war, Hoederer zu ermorden, einen der Führer der Partei, der als Verräter galt, Kontakt zu den politischen Feinden suchte. Hugo erschlich sich das Vertrauen Hoederers, wurde sein Sekretär, begann aber zu zweifeln. Schließlich tötete er Hoederer – doch nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Eifersucht. Derweil änderte sich die Haltung der Partei: Nun begrüßt sie Hoederers Vorgehen, erklärt ihn postum zum Märtyrer – und Hugo wird von ihr als Verräter abgestempelt. Er sucht Unterschlupf bei Olga, einer Parteifreundin. Er will weiterhin für die Partei arbeiten, will noch von Nutzen für sie sein. Olga versteckt ihn, versucht ihn zu rehabilitieren. Ihr erzählt er seine Geschichte.
Susanne Heydenreich, Intendantin im Theater der Altstadt, spielt die Olga, verleiht ihr kräftige, herbe Präsenz. Irfan Kars ist Hugo, Lou Bertalan ist Hoederer. Zwischen ihnen entfaltet sich das Drama, fliegen heftig die Dialoge hin und her, steigert sich die Spannung, öffnen sich Fragen, Ungewissheiten – denn Hoederer, scheinbar weich, doch eigentlich ganz ohne Illusionen, ist ein Charismatiker, der Hugo immer mehr in seinen Bann zieht. Für Hoederer ist die Politik ein Geschäft, bei dem sich jeder die Hände schmutzig macht, bei dem der Zweck die Mittel rechtfertigt. Reinhold Weiser und Ambrogio Vinella spielen die Verhandlungspartner Hoederers, sehr markant gezeichnete Figuren, spielen seine beiden Leibwächter, schlicht gestrickt, simpel aber grausam, ein wenig zu tölpelhaft vielleicht. Verblüffend schnell wechseln sie ihre Gesichter, verwandeln sich von zynischen Kapitalisten in brutale Kommunisten.
Reinhold Weiser spielt auch Louis, den Funktionär, der Hugo den Auftrag gab zu morden, hartherzig und finster, Trenchcoat, Hut. Sonst trägt man gerne Rollkragenpullover in dieser Inszenierung. Die Szene wechselt zwischen dem leeren Café, in dem man noch den Duft der Gauloises zu riechen glaubt, dem Büro und dem Zimmer, das Hugo mit seiner Frau Jessica bewohnt – Existenzialismus, Politik und Liebe, ein zerwühltes Bett. Sarah Kreiß gibt die Jessica als temperamentvolle junge Frau, will Hugo von seinem Mordplan abbringen, beschwört die Katastrophe herauf.
Jean-Paul Sartre verband in »Die schmutzigen Hände « die Frage nach politischer Verantwortung geschickt mit seiner Philosophie. Sein und Schein, Wirklichkeit und Spiel vermengen sich subtil; jeder muss sich für eine Rolle entscheiden; das Ende steht längst fest. Hugo zielt im Scherz mit dem Revolver auf seine Frau, er sagt: »Mord ist etwas Abstraktes.« Vieles schwingt hier mit und Regisseur Uwe Hoppe lässt es konsequent in der Schwebe: Niemals versucht er Sartre zu verbiegen, in aktuelle Kontexte zu zwingen. Der Terror, die Selbstmordattentate der Gegenwart belasten das Stück nicht. Der Zuschauer ist eingeladen nachzudenken über die harten Schlüsse, die Jean-Paul Sartre zog, erlebt dabei aber einen stringent und fesselnd erzählten Theaterabend mit durchweg gut besetzten Rollen. Für Irfan Kars vor allem ist »Die schmutzigen Hände« ein kleiner Triumph, spielt das eigentliche Geschehen doch in seinem Innern, dort, wo Ideale zerbrechen, Abgründe sich auftun – all das lässt sich ablesen auf seinem Gesicht, blass, gehetzt, zerrissen.
Thomas Morawitzky