Sanfter Neustart in der Kultur
Wie unsere Kulturpartner sich auf die aktuelle Situation einstellen
Tanz, Theater, Chorgesang, Kunst – jede Sparte, jedes Haus und jedes Ensemble muss einen eigenen Weg finden, um trotz Corona Kultur möglich zu machen. Organisatorisch und inhaltlich stellt das die Verantwortlichen wie die Künstlerinnen und Künstler vor große und immer wieder wechselnde Herausforderungen. Wir haben unsere Kulturpartner gefragt, welchen Einfluss die Corona-Schutzmaßnahmen bei ihnen auf die Abläufe und den Spielplan haben? Hier ihre Antworten.
Corona beeinflusst jede Sekunde, jeden Tag. Unsere ursprünglich geplante Spielzeit wurde völlig auf den Kopf gestellt. Doch das 60. Jubiläum des Stuttgarter Balletts feiern wir trotzdem! Noch während des Lockdowns im Frühsommer habe ich junge ChoreographInnen mit Uraufführungen betraut. Die Werke junger KünstlerInnen gehören genauso zur Tradition des Stuttgarter Balletts wie die von Altmeistern, die uns seit Jahrzehnten verbunden sind. Aus Youngstern und bekannten Namen haben wir zwei Programme zusammengestellt, die sich hoffentlich auch bei der weiteren Entwicklung der Situation als coronatauglich beweisen.
Über den Spielplan hinaus ist unsere tägliche Planung doppelt und dreifach kompliziert geworden. Es beginnt mit der Frage, wie viele TänzerInnen gemeinsam trainieren und proben können. Wir sind froh, dass uns mit dem Neubau der John Cranko Schule nun dort die Probebühne zur Verfügung steht und wir so einen großen Saal mehr haben. Immer wieder ergeben sich neue Probleme. So zum Beispiel, dass ein Gasteinstudierer aus einem Risikogebiet kommt: Wie schaffen wir es, alle Regeln, die sich täglich zu ändern scheinen, einzuhalten und dass er einreisen kann?
Trotz all dieser Hindernisse sind wir überglücklich, überhaupt wieder vor Publikum tanzen zu können. Nachdem das gesamte Stuttgarter Ballett im März in Quarantäne und danach in Isolation war, wissen wir zu schätzen, den Fuß überhaupt in den Ballettsaal setzen zu dürfen. Wir beten jeden Tag, dass es so bleibt. Die letzten Monate haben deutlich gemacht, dass Tanz im luftleeren Raum nur bedingt funktioniert. Der Tanz lebt vom Live-Erlebnis. Umso wichtiger ist mir, dass wir das 60. Jubiläum mit unseren ZuschauerInnen feiern. Wir werden alles daransetzen, um es möglich zu machen. Kopfzerbrechen über Probenpläne nehme ich dafür gerne in Kauf. Schließlich wäre das Stuttgarter Ballett undenkbar ohne sein treues Publikum.
Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts
Alle unsere Vorstellungen sind jetzt noch intimer. Als ZuschauerInnen finden Sie sich in exklusiver Gesellschaft von 24 anderen im Foyer und Theatersaal ein. Für die Getränke sorgt der Service-Automat. Den Zugang zum Theater haben wir zweispurig ausgebaut, damit ZuschauerInnen mit Ticket immer auf der Überholspur sind. Vorbereitete Kontaktdaten können Sie im Vorbeigehen in eine datengeschützte Blackbox einwerfen. Für ausreichend Platz und zirkulierende Luft sorgt die großzügige Architektur des Zacke-Depots. Im Saal genießen Sie ausreichend Beinfreiheit und freie Sicht zur Bühne. Die Stimmung lesen wir aus Ihren Augen ab, Ihr Lächeln oder Gähnen bleibt diskret in der Privatsphäre Ihrer Maske hängen. Endlich bleiben die DarstellerInnen am Theater Rampe auf Abstand, zumindest körperlich.
Da die meisten Stücke in unserem Programm neu entstehen, haben die KünstlerInnen in ihren Inszenierungen schon auf die Situation reagiert. Bei unserer Eröffnung »Norm ist Fiktion« trugen die ZuschauerInnen Reifröcke. Herbordt/Mohren entwickeln in ihren Laboren »Die Gesellschaft« eine Bühne, die analoge und virtuelle Räume verschränken wird. Das »Theatre Of The Long Now« beim Kunstverein Wagenhallen ist als Freilichttheater und mit seinem größtenteils nicht-menschlichen Ensemble ohnehin sehr infektionssicher.
Für die Menschen zu Hause haben wir einen Radiosender eingerichtet. Hier läuft zum Beispiel jeden Montag die Montagereihe. Die »Cosmic Radio Show« sehen Sie wahlweise im Theater oder hören Sie online auf Ihrer Couch. Und zur Unterstützung der bis auf weiteres geschlossenen Bar Rakete findet einmal im Monat das »Raketenradio« statt.
Das Theater Rampe ist bereit, diese große gesellschaftliche Herausforderung anzunehmen und mit allen Mitteln der Kunst zu bearbeiten, und wir sind so frei, inmitten eines limitierten Lebensraums diese anderen Freiräume der Imagination, Erzählung, Utopie und Auseinandersetzung offen zu halten für die Kunst, die Stadt und ihr Publikum.
Martina Grohmann, Intendanz des Theater Rampe
In der großen Krise der Gegenwart ist die Kultur zutiefst betroffen. Die Chormusik wird ganz besonders gefordert und muss sich Formate mit räumlichen Gegebenheiten suchen, die der außerordentlichen Situation gerecht werden. Dies bringt große Einschnitte in Besetzungsfragen, aber auch hinsichtlich der Werkauswahl mit sich. Nicht jedes Werk kann »mit Abstand« gesungen werden, nicht jeder Raum bietet größenmäßig und akustisch die Voraussetzungen, um der besonderen Situation gerecht zu werden. Dies stellt alle Beteiligten vor immense Herausforderungen, macht sehr viel Arbeit in der Vorbereitung und bedeutet viele Veränderungen im programmatischen Prozess: Umplanungen, Absagen, neue Ideen, enorme Flexibilität der Ausführenden, auf spontane Änderungen reagieren zu können. Und selbstverständlich bleiben auch Chöre von Quarantäne- Risiken kurz vor Termin nicht verschont, wenn die Akteure in unterschiedlichen Berufsfeldern zugange sind.
Wir hoffen alle, dass unser sanfter Neustart nicht schon demnächst wieder beendet ist, denn was wir mit Sicherheit feststellen können, ist ein großes Bedürfnis des Live-Erlebens, sowohl bei unseren Chormitgliedern als auch bei unserem Publikum. Der Württembergische Kammerchor versucht den Anforderungen mit kleinen, interessanten Formaten gerecht zu werden, wie zum Beispiel musikalischen Meditationen in Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden St. Fidelis und der Hospitalkirche im Oktober und Dezember. Bereits Ende September gab es eine Hölderlin gewidmete literarisch-musikalische Stunde, die allen Beteiligten große Freude bereitete. Uns geben diese anspruchsvollen Formate die Möglichkeit, in unterschiedlichen Besetzungen den Chormitgliedern die lange vermissten Angebote zur Mitwirkung zu machen.
Unser größter Wunsch ist die Durchführung unseres Jubiläumskonzertes »50 Jahre Württembergischer Kammerchor« zum Thema »Freiheit« am 22. November. Wir drücken die Daumen, dass wir diese spannende Aufführung unserem Publikum zu Gehör bringen können.
Prof. Dieter Kurz, Künstlerischer Leiter des Württembergischen Kammerchors
Auf die Frage nach den Corona Auswirkungen für unser Haus gibt es gar nicht so viel zu berichten. Da ein Besuch unserer Räume grundsätzlich nur nach vorheriger Anmeldung möglich ist, haben die Schutzmaßnahmen bisher keine größeren Auswirkungen auf unsere Abläufe. Bei den Führungen durch das Haus ist die Teilnehmerzahl ohnehin begrenzt – hinzugekommen ist die Pflicht, eine Maske zu tragen.
Als kleine Institution können wir relativ flexibel auf die Situation reagieren und unser Programm auch kurzfristig anpassen. Ursprünglich geplante Veranstaltungen in größerem Rahmen haben wir komplett gestrichen.
Der Höhepunkt der Pandemie ist aber noch nicht erreicht und möglicherweise werden weitere Einschränkungen insbesondere der Teilnehmerzahlen noch auf uns zukommen.
Anita Froehlich, Sammlung Froehlich, Leinfelden- Echterdingen