Raus aus der Klischee-Schublade
Leticia Moreno spielt Spanisches beim Neujahrskonzert
Satt ist der Klang, wuchtig setzt die zierliche junge Frau mit vollem Körpereinsatz den Bogen auf die Saiten ihrer Violine. Die rhythmische Energie von Maurice Ravels »Tzigane« scheint die Musikerin vollkommen zu durchdringen. Schaut man sich die Videoaufnahme von Leticia Morenos Auftritt mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks an, spürt man die Leidenschaft und das Temperament auf der Bühne, man wird aber auch mitgerissen von der Begeisterung, die sich im Publikum breitmacht. Die 1985 geborene Leticia Moreno (Titelfoto) zieht die Hörer förmlich in ihren Bann, indem sie sich mit Haut und Haar in die Musik stürzt und dabei vor keiner Emotion zurückschreckt. Mit diesem Konzert hat die junge Musikerin vor einer Handvoll Jahren auch in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht und begonnen, sich einen Platz in diesem hart umkämpften Markt der Solisten zu erstreiten.
Der Werdegang der spanischen Geigerin zeugt von Zielstrebigkeit und dem Bewusstsein, dass man unterschiedliche Einflüsse benötigt, um es als Musikerin ganz nach oben zu schaffen. Mit elf Jahren beginnt sie ihre professionelle Ausbildung in Madrid, wechselt dann nach Deutschland, wo sie an den Musikhochschulen in Köln und Saarbrücken studiert. Ihr Talent zeigt sich bereits in diesem Umfeld, und so ist es nicht verwunderlich, dass die ehrgeizige junge Musikerin sich den Feinschliff bei Maxim Vengerov und anschließend in London holt.
Wenn eine Musikerin ihr technisches Rüstzeug beherrscht, ist es unerheblich, welches Instrument der Lehrer spielt.
Ungewöhnlich aber ist ihr nächster Schritt, denn Leticia Moreno lässt sich – zu diesem Zeitpunkt ist sie gerade einmal 18 Jahre alt – von Mstislaw Rostropowitsch unterweisen. Der russische Musiker ist ein weltweit renommierter Solist und Kammermusiker, keine schlechte Adresse also, wenn man als Elevin große Ziele hat. Aber Rostropowitsch ist eben kein Geiger, sondern Cellist. Zwei völlig unterschiedliche Instrumente mit grundsätzlich anderen technischen Voraussetzungen, möchte man meinen. Doch wenn die instrumentale Basis gelegt ist, wenn eine Musikerin ihr technisches Rüstzeug beherrscht, ist es im Grunde unerheblich, welches Instrument der Lehrer spielt.
Entscheidend ist ab diesem Moment die künstlerische Prägung und Begleitung, wenn es darum geht, eine individuelle Handschrift als Musiker zu erlangen. Genau das scheint die Cello-Legende Rostropowitsch bei Leticia Moreno nachhaltig zu fördern.
Ab dem Jahr 2005 macht die junge Spanierin, gerade mal dem Teenager-Alter entwachsen, auf sich aufmerksam.
Internationale Preise, die ihr spielerisches Vermögen, aber auch ihr künstlerisches Potenzial würdigen, sowie Engagements bei renommierten Orchestern reihen sich ab dieser Zeit aneinander. In Deutschland erlebt man sie beispielsweise im Sommer 2010 beim Rheingau-MusikFestival, wo sie mit barocken Virtuosen-Stücken, allen voran d er berühmten » Teufelstriller«- Sonate von Giuseppe Tartini, aufhorchen lässt.
Dass ein Geiger die technisch anspruchsvollen Kabinettstückchen makellos beherrscht, setzt man als Hörer mit einer gewissen Erwartungshaltung, vor allem bei einem hochklassigen Festival, voraus. Aber als wahrer Künstler erweist sich, wer in den ruhigen Momenten brilliert.
Denn dort ist gerade kein circensisch anmutendes Musik-Feuerwerk gefragt, sondern eine Künstlerpersönlichkeit, die mit den Kompositionen eine Geschichte erzählt. Genau das scheint die Stärke von Leticia Moreno zu sein, die längst dem Wunderkind-Status entwachsen ist, der aber immer noch eine jugendliche Aura anhaftet, die in eigenartigem Kontrast zu der Reife steht, die sie durch die Töne ausstrahlt. Insbesondere in langsamen Sätzen scheint ihr Spiel wie entrückt zu sein, gleichzeitig traumverloren und in sich selbst ruhend.
Naturgemäß ruft eine derartige Haltung auch Zweifler auf den Plan, die der Musikerin Sentimentalität unterstellen und einen Hang zum Gefühligen attestieren, b ei dem s o manche Augenbraue gerümpft wird. Moreno befeuert diesen kritischen Blick, wenn man auf ihr Repertoire blickt, in dem sich vieles findet, was dem Kitschverdacht ausgesetzt ist, von Vivaldis »Vier Jahreszeiten« bis zu zeitgenössischen s panischen Werken, die gerne eine breite Gefühlspalette bedienen.
Eine oberflächliche Show-Geigerin – wie es sie in der eventsüchtigen Klassikszene durchaus gibt – ist die Spanierin aber keineswegs. Sie nimmt das, was sie aufführt, ernst und verpasst den Kompositionen, etwa Édouard Lalos »Symphonie espagnole«, eine individuelle Handschrift. Mit diesem Violinkonzert wird sie am Neujahrstag bei den Stuttgarter Philharmonikern gastieren. Passend zum Programm dieses Abends, das südländisches Flair, Walzerseligkeit und musikalisches Parfum verspricht, interpretiert sie diesen Repertoireklassiker mit seiner rhythmischen Brillanz und den süffigen Melodien, auch wenn sie damit in Kauf nimmt, wieder in eine Schublade gesteckt zu werden.
Dass sie genau das nicht nötig hat, zeigt sie mit ihrem Einsatz für deutlich sperrigere Stücke, etwa das Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch. Dieses wird am 1. Januar nicht erklingen, interessant dürfte dieser Konzertabend aber in jedem Fall werden.
Markus Dippold