Purer, starker Tanz
Die Dresden Frankfurt Dance Company gastiert im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg
Urtümliche, fast mystische Wesen tragen Pflanzen auf ihren Rücken, der Boden unter ihnen beginnt zu wogen und wird zu einem schwarzen Meer, aus dem eine helle, sphärische Wolke aufsteigt: Solch mächtige Bilder von Menschwerdung, entstehender und sterbender Natur erschafft der italienische Choreograf Jacopo Godani vor unseren Augen, wenn er zu Arnold Schönbergs zart-impressionistischer Komposition »Verklärte Nacht« einmal nicht Liebessehnsucht zeigt, sondern die ewige Erneuerung der Natur. »Al Di Là«, zu Deutsch »Jenseits«, ist ein ungewöhnlich theatralisches Stück für den ansonsten strikt tanzorientierten Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, die 24. und 25. Mai im Ludwigsburger Forum am Schlosspark gastiert.
Godani leitet sie, seit sie 2015 aus der ehemaligen Forsythe Company entstand. William Forsythe, der große Ballettrevolutionär, zog sich damals komplett vom Choreografieren zurück und gab sein Ensemble, das wiederum 2004 aus dem Frankfurter Ballett hervorgegangen war, an seinen ehemaligen Solisten Jacopo Godani weiter.
Die Kompanie tritt abwechselnd im Bockenheimer Depot in Frankfurt und im Festspielhaus Hellerau auf; in dem traditionsreichen Säulenbau in der Dresdner Gartenstadt etablierte der Tanzpädagoge Émile Jaques-Dalcroze zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine berühmte Schule, die zum Entstehen des deutschen Ausdruckstanzes beitrug. Heute ist Hellerau eines der führenden modernen Tanzzentren, Godanis Company wird als Joint Venture von den Städten Frankfurt und Dresden sowie von den Ländern Hessen und Sachsen finanziert. Nach der Auflösung des Frankfurter Balletts ist sie die einzige feste Tanzkompanie der Bankenstadt.
Bereits seit 1990, also schon bevor er bei Forsythe in Frankfurt anfing, arbeitet Jacopo Godani als Choreograf, nach seiner Tänzerkarriere schuf er Werke für große Kompanien wie das Royal Ballet London, das Bayerische Staatsballett, das Nederlands Dans Theater oder das Semperoper Ballett. Er ist ein erklärter Gesamtkunstwerker, der auch für die drei Stücke dieses Abends alles selbst entwarf: Kostüme, Bühne, Licht und natürlich die Choreografie. Godanis Tanzsprache kommt vom klassischen Ballett, er kreiert sowohl Stücke auf Spitze wie auf flacher Sohle und entwickelte aus Forsythes revolutionärem Ansatz der Dekonstruktion seinen ganz persönlichen Stil. Es ist purer, starker Tanz, oft von mathematischer Präzision, von rauer Körperlichkeit oder erstaunlich weicher Lyrik, mit virtuos hinaufgerissenen Beinen oder grotesken Schlingungen, mit rasantem Drive oder performativen Elementen.
In »High Breed« setzt der Choreograf seinen Hochenergie-Tanz zur Musik seines bevorzugten Komponisten-Trios »48nord« um, lässt Silhouetten aus der Dunkelheit auftauchen und jagt Gruppen in kühner, mitreißender Dynamik über die Bühne. Getrieben von den starken Impulsen der elektronischen Musik, reagiert die Menge in ihren blutroten Trikots, als stünde sie unter Hochspannung. Die physische Intensität des fulminanten Stückes wird vom Spiel mit Licht und Dunkelheit zu geisterhaften Bildern verstärkt. Fast meditativ wirkt dagegen »Echoes from a restless soul« zu zwei Sätzen aus Maurice Ravels Klavierwerk »Gaspard de la Nuit«. Sensibel reagieren die zwei Paare auf die Klänge des Pianisten, der auf der Bühne sitzt, auch hier fließt und schimmert der Boden in nächtlichen Lichteffekten, Spitzenschuhe verlängern elegant die Beine der Frauen. In den Duos entwickeln sich intensive Beziehungen und Fragen, denen die vier Solisten nachlauschen wie den »Echos einer ruhelosen Seele«.
Angela Reinhardt