Momente des Abhebens
Saxofonistin Asya Fateyeva im Konzert mit Stuttgarter Kammerorchester
Als der Belgier Adolphe Sax 1840 das Instrument erfand, welches in der Familie der Holzblasinstrumente zwischen Klarinette und Oboe eine neue Klangfarbe ins Orchester bringen sollte, war es für den Einsatz im Sinfonieorchester oder in der Militärmusik konzipiert. Populär freilich wurden Saxofone und ihre Interpreten erst mit dem Jazz und den Bigbands im 20. Jahrhundert. Während der charakteristische Saxofon-Ton im Konzertsaal, etwa in Maurice Ravels „Bolero“ oder in George Gershwins „Rhapsody in Blue“, zunächst eher selten war, ist er mittlerweile auch in der sogenannten E-Musik nicht mehr wegzudenken. Schon ab den 1930er Jahren eroberte sich vor allem das Altsaxofon als Soloinstrument mit Orchester die Konzertsäle. Eines der ersten Werke dieser Art war das Concerto Es-Dur von Alexander Glasunow, 1934 von Sigurd Raschèr, dem Gründer des berühmten Raschèr Saxophone Quartets, uraufgeführt.
Dieses Stück steht im Mittelpunkt des Konzerts mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Matthias Foremny am 8. März in der Stuttgarter Liederhalle. Solistin ist die junge deutsch-ukrainische Echo-Klassik-Preisträgerin Asya Fateyeva (Titelfoto), die nach ihrer Debüt- CD „Bachiana“ gerade ihr neues Album „Carneval“ herausgebracht hat, auf dem auch das Glasunow-Konzert eingespielt ist. Nach ihren Saxofon-Studien auf der Krim, am Moskauer Gnessin-Institut und ab ihrem fünfzehnten Lebensjahr an der Kölner Musikhochschule hat sich Fateyeva mit Charme und Können als Virtuosin auf ihrem Instrument – oder besser gesagt der ganzen Saxofon-Familie – etabliert. Als Tenorsaxofonistin gehörte sie als ständiges Mitglied zum renommierten Alliage-Quintett, seit 2014 unterrichtet sie als Dozentin für klassisches Saxofon an der Musikhochschule in Münster.
Für die Musikerin ist ihr Umgang mit dem Saxofon wie ein Maskenspiel: „Ein Saxofon klingt so unterschiedlich und wechselt so oft seine Klangfarben“, sagt Fateyeva. „Es mag sich gerne verkleiden, ausprobieren, verschiedene Stile ausloten und in die Rollen anderer Instrumente schlüpfen. Manchmal klingt es wie eine Flöte, eine Oboe, ein Horn, eine Stimme.“ Schon als Kind hat sie sich in diesen Klang verliebt, den sie zum ersten Mal hörte, als sich ihr Vater als Hobby ein Saxofon zulegte. Zusammen mit einer Bearbeitung von Sergej Rachmaninows „Voca lise“ spielt Asya Fateyeva mit dem Stuttgarter Kammerorchester das in Aufbau und Ausdrucksgehalt von den Solokonzerten der Romantik inspirierte Werk Glasunows für Altsaxofon und Streichorchester.
Eingerahmt werden die beiden solistischen Auftritte der Saxofonistin von Mussorgskis „Bildern einer Ausstellung“ in einer Streicherfassung der Camerata Bern und einem Stück des Heidelberger Komponisten Moritz Eggert. Eggert bespielt in der zeitgenössischen Musikszene ein breites Repertoire, das von avantgardistischem Musiktheater bis zur Eröffnungsmusik der Fußball- WM 2006 und dem bei der Ruhrtriennale uraufgeführten Fußballoratorium „Die Tiefe des Raums“ reicht. Sein 2009 vom Stuttgarter Kammerorchester uraufgeführtes Auftragswerk „Tetragrammaton“ handelt von Sufi-Mystik und der ekstatischen Einheit von Mensch und Schöpfung.
Dazu Eggert: „Mich interessiert das Unaussprechliche in der Musik, bestimmte Momente des Abhebens.“
Dietholf Zerweck