Mit Energie und Inspiration
Alondra de la Parra und Maria Dueñas mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen in der Liederhalle
Von den sieben Konzerten in der Stuttgarter Reihe „Faszination Musik“ werden in dieser Saison drei von Dirigentinnen geleitet. Das ist keine schlechte Quote in einem Beruf, der vor noch nicht allzu langer Zeit eine Männerdomäne war. Alondra de la Parra, die die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen im März zum Frühlingsanfang im Beethovensaal dirigiert, gehört zur wachsenden Zahl weiblicher Maestrae, die sich inzwischen das Podium erkämpft haben. Wenn Alondra de la Parra noch 2019 in einem Filmporträt mit dem Titel „La Maestra“ über sich sagte: „Dirigenten sind normalerweise Deutsche, sehr alt und haben weiße Haare. Und ich bin Mexikanerin, jung und eine Frau“, so ist dabei eine gewisse Koketterie unüberhörbar. Jugendlichkeit, Temperament, natürliche Grazie sind gewiss Eigenschaften, die einer Performerin auf dem Dirigentenpodium zum Vorteil gereichen. Doch freilich sind Talent und Kompetenz, musikalisches Verständnis und handwerkliches Können in diesem Beruf das Entscheidende. „Das Schwierigste bei der Arbeit mit einem Orchester ist neben der technischen Meisterschaft der Kontakt zu den Musikern und das ständige Bestreben, sich als Mensch zu bewähren,“ sagt die Dirigentin. „Man braucht einen starken Willen und Entschlossenheit, wenn man das erreichen will. Musikerin zu sein zwingt mich zur Disziplin. Sie hilft mir, meine Gedanken zu organisieren. Nur Talent reicht nicht, Erfolg verlangt Anstrengung.“
Alondra de la Parra, die schon im Alter von 13 Jahren wusste, dass sie Dirigentin werden wollte, studierte Theorie und Komposition in Mexiko Stadt und Klavier und Dirigieren an der Manhattan School of Music in New York, wo sie selbst 2004 das Philharmonic Orchestra of the Americas für junge, begabte Musikerinnen und Musiker gründete. Seitdem hat sie über hundert Orchester in aller Welt dirigiert, von 2017-2019 war sie Music Director des Queensland Symphony Orchestra in Australien. Im Sommer 2020 sollte sie bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen das Monrepos Open Air dirigieren, das auch 2021 wegen Corona abgesagt werden musste und nun am 16. Juli hoffentlich mit dem Festspielorchester unter ihrer Leitung nachgeholt wird. Während der Pandemie-Lockdowns hat Alondra de la Parra bei ihrem Projekt „The Impossible Orchestra“ bekannte Musiker aus verschiedenen Ländern zu einer virtuellen Video-Produktion zusammengebracht, um damit Frauen in ihrer mexikanischen Heimat, die von Armut und Gewalt bedroht sind, zu unterstützen. Auf YouTube ist der beachtliche Film noch im Internet verfügbar.
Im Konzert am 12. März mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen wird sie, nach einer Spanientournee mit dem Orchester, in der Liederhalle die „Variaciones concertantes“ von Alberto Ginastera, das Violinkonzert von Jean Sibelius und die 7. Sinfonie von Antonin Dvorák interpretieren. Solistin ist die junge spanische Geigerin María Dueñas, die mit ihren 19 Jahren schon die Menuhin Competition und den Grand Prix des Viktor Tretyakov Wettbewerbs gewonnen hat und von der BBC als New Generation Artist 2021-2023 gefördert wird. Dueñas wird für ihre eindrucksvolle musikalische Sensibilität und technische Perfektion gerühmt, die sie auch im Sibelius-Konzert gut einsetzen kann. Wie funkelnder Äther erscheint das Thema in der Solovioline über tremolierenden Streicherwellen zu Beginn und entfaltet sich im Allegro zu leuchtender Intensität. Das dramatische Tableau dieses Satzes wird oft mit nordischen Naturstimmungen in Verbindung gebracht, auch im expressiven Adagio gibt es kämpferische Passagen zwischen Soloinstrument und Orchester, im tänzerischen Finale triumphiert der virtuose Drive.
Ginasteras „Variaciones“ zum Auftakt sind ein Werk, in dem der argentinische Komponist Folklore und Tradition zu einem farbigen Personalstil verbindet. 1953 während der Perón-Diktatur entstanden, präsentiert Ginastera in seinen Charakterstücken verschiedene Soloinstrumente, das Finale kulminiert in einem Malambo, dem Tanz der Gauchos. Dramatischere Töne wird Alondra de la Parra in Dvoráks d-Moll-Sinfonie op. 70 anstimmen. Dvoráks Siebte, 1885 in der Londoner St. James Hall unter Leitung des Komponisten uraufgeführt, eröffnet die Trias der drei letzten großen Sinfonien, die er 1893 mit seiner Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ in New York abschloss. Dvorák galt in diesen Jahren diesseits und jenseits des Atlantiks als begnadeter Sinfoniker in der Tradition von Beethoven und Brahms, jedoch geprägt vom melodischen Reichtum seiner böhmischen Heimat. Der Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick erklärte seine Popularität so: „Naivität heißt der scheinbar so harmlose, in Wahrheit so mächtige Zauber, welcher diesem Komponisten innewohnt.“ Doch das Werk, welches nach Dvoráks eigenen Worten „die Kraft haben muss, die ganze Welt zu bewegen“, geht in seiner Ausdruckskraft und Vielschichtigkeit weit über ein solches Klischee hinaus. Per aspera ad astra – vom Dunkel ins Licht führen die vier Sätze, von denen nur das Scherzo genuin böhmischen Charakter zeigt und deren Entwicklung höchst spannend verläuft - bis zur triumphalen Coda des Finales.
Dietholf Zerweck