Leg dich nicht mit Männern an
Auch in diesem Jahr werden in der Oper Frauen misshandelt, verkauft und ermordet
Kennen Sie den Bechdel-Test? Benannt ist er nach der US-amerikanischen Autorin Alison Bechdel. Ein Film besteht ihn, wenn sich diese drei Fragen mit Ja beantworten lassen: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen in diesem Film? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Dieser Test lässt sich natürlich auch bei Opern anwenden.
Der Vorwurf, die Oper sei misogyn, ist nicht neu. Weibliche Figuren haben es in der Oper wahrlich nicht leicht. Sie werden misshandelt, verkauft und am Ende meist ermordet. Jetzt entsprachen und entsprechen diese fiktiven Schicksale aber nun mal denen vieler Frauen in der Realität. Ist es sexistisch, eine frauenfeindliche Wirklichkeit abzubilden? Auch im echten Leben müssen Frauen am Ende oft dafür büßen, dass Männer sich in sie verlieben und mit einer Abfuhr nicht leben können. Tageszeitungen bemühen dann den Euphemismus »Familiendrama«. Dahinter verbirgt sich meist nichts anderes als toxische Männlichkeit respektive tödlicher Frauenhass.
Man werfe einen Blick auf die Frauen, die uns in diesem Jahr in der Stuttgarter Oper begegnen:
Die freiheitsliebende Carmen wird im nach ihr benannten Vierakter von Georges Bizet am Schluss umgebracht. Richard Strauss‘ »Salome« ebenso, nachdem sie sich beim makabren Tanz mit dem abgeschlagenen Haupt des Täufers Johannes ermächtigt und damit als vermutlich erste Frau überhaupt einen Herrscher wie Herodes das Fürchten gelehrt hat. Violetta Valéry in Giuseppe Verdis »La traviata« schöpft ihre letzte Kraft ohnehin einzig aus dem Wissen, bald der Tuberkulose zu erliegen. Margherita in Arrigo Boitos »Mefistofele« vergiftet ihre Mutter, ertränkt ihr Kind und ist am Ende zwar erlöst, aber eben auch tot. Und Vincenzo Bellinis »Norma« opfert sich selbst.
Eines ist augenfällig: All diese Frauenschicksale wurden von Männern gewoben. So gesehen ist der Misogynie-Vorwurf durchaus berechtigt. Denn letztlich ließe sich aus diesen Stoffen eine grundfalsche Lehre ziehen: Wer als Frau am Leben bleiben will, legt sich besser nicht mit Männern an. Andererseits bestehen einige Opern den eingangs geschilderten Bechdel-Test durchaus. Sicher, der ist kein feministisches Gütesiegel. Aber er verrät, ob Frauen in einem Werk zumindest ansatzweise ernst- oder nur als Objekt aus einer primitiv-männlichen Perspektive wahrgenommen werden. Gehen Sie also in die Oper und machen Sie den Test!
Dazu noch ein vielleicht überraschender Hinweis zum Testsieger »Norma«: Oberpriesterin Norma und Novizin Adalgisa versprechen einander beim Duett ewige Freundschaft, unterhalten sich also nicht nur über Männer. Wohingegen die männlichen Figuren ausschließlich über Frauen sprechen. Damit ist diese Oper nach Bechdel- Maß stäben gewissermaßen sogar männerfeindlich! Bravo!
Cornelius W. M. Oettle