Krise ist immer
Wie Ulrike Hermann die Kulturgemeinschaft durch schwierige Zeiten führte
Wer im Kulturbereich arbeitet, ist es gewohnt, mit Krisen umzugehen. Das gilt besonders für den Live-Sektor, für Theater und Konzerte, die zwar geprobt, aber nicht vorproduziert werden können und deshalb bei jeder Aufführung von neuem ihren Reiz, ihre Präsenz, ihre Imagination, ihren Charme, ihre Wucht, kurz: ihre Kunst beweisen müssen. Dafür, dass es gelingt, müssen viele Rädchen ineinandergreifen, müssen Spielzeitplanung, Dramaturgie, Disposition, Marketing, künstlerisches Ensemble, Verwaltung, Technik und Abendregie zusammenwirken und präzise aufeinander abgestimmt sein. Um zu scheitern, reicht es oft, dass nur ein Rädchen herausbricht und damit die ganze Aufführung gefährdet wird. Dann braucht es Krisenmanager, dann braucht es Menschen wie Ulrike Hermann.
Was für den kulturellen Alltagsbetrieb gilt, trifft noch mehr für den Kulturbetrieb im Großen und Ganzen zu. Die Kulturgemeinschaft ist ein solcher Kulturbetrieb im Großen und Ganzen. Er ist groß, weil er in normalen Zeiten Hunderttausende von Konzert- und Theater- und Ausstellungsbesuchen für Zehntausende Mitglieder in Stadt und Land organisiert. Und er tut es im Ganzen, weil er damit ein Netz zwischen vielen Veranstaltern im Raum Stuttgart und dem Publikum in der Region knüpft, einem Publikum zudem, das sonst nicht oder kaum erreicht wird.
Das Netz zwischen den Anbietern und dem Publikum, für das die Kulturgemeinschaft steht, ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten aus vielerlei Gründen brüchig geworden. Die Vorstellung dessen, was als Kunst zu verstehen ist, hat sich ständig erweitert und mit ihr die Zahl der Anbieter und die Menge der Angebote. Hinzu kam die mediale Revolution. Alte, über Jahrzehnte eingeübte und als selbstverständlich erachtete kulturelle Handlungsmuster hingegen, nun leicht abwertend als ‚bürgerlicher Kulturbetrieb‘ etikettiert, lösten sich zunehmend auf und stellten das überkommene Konzept der Kulturgemeinschaft als gemeinnützige Vermittlerorganisation vor große Herausforderungen. Was tun?
Zwei mögliche Wege boten sich an. Top down oder bottom up. Entweder der ganz große Wurf, die einzigartige Vision, die totale Neuerfindung, quasi das I-Phone der Kulturvermittlung. Wäre schön gewesen, gelingt aber nur einmal in hundert Jahren. Also blieb nur die zweite Möglichkeit: Ärmel hochkrempeln, anpacken, die Organisation neu aufstellen und den ganzen Prozess des Austausches mit den Anbietern und dem Publikum in den Blick nehmen und Stück für Stück optimieren. Ulrike Hermann hat sich für letzteres entschieden, denn sie wusste, wenn etwas gelingen soll, müssen alle Rädchen ineinandergreifen. Das begann im eigenen Team, das zusammengeschweißt und gefördert werden musste, um die Herausforderungen beherzt anzunehmen. Das setzte sich in der Prüfung der Attraktivität und Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Angebots fort. Es beinhaltete aber auch neue, flexible Formate, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Besucher:innen, die ihre kulturelle Agenda individuell zusammenstellen wollen und dabei immer kurzfristiger entscheiden. Und es bedeutete permanentes Feilschen mit den Partnern um angemessene und vermittelbare Preise.
Ulrike Hermann ist diese Herkulesaufgabe unerschrocken und konsequent angegangen. Als Betriebswirtin wusste sie Kennzahlen richtig zu deuten und als Kulturmanagerin, dass eigentlich immer Krise ist und nach dem rettenden Ufer immer der nächste reißende Fluss kommt. Daher ließ sie sich auch nicht durch die Corona-Krise beirren. Wieder hieß es nachdenken, Ärmel hochkrempeln, anpacken und zusehen, dass der Laden nicht auseinanderfliegt. Auch das ist ihr gelungen, vereint mit ihrem Team, durch die Solidarität der Besucher und im Zusammenspiel mit den Theater- und Konzertveranstaltern.
Krise ist noch immer und Krisenmanager wie Ulrike Hermann sind ein großes Glück.
Sie fehlt der Kulturgemeinschaft schon jetzt.
Thomas Knubben