Komödiantischer Spieltrieb
Die Opernschule spielt Donizettis »Viva la Mamma!« im Wilhelma Theater
Eine Theatertruppe im Proben-Modus, eine Parade der Eitelkeiten von Primadonna, Tenor, Komponist und Impresario, Gigolo und Librettist. Und als Salz in der Opera-Buffa-Suppe die Travestie- Rolle von Mamm’Agata, der Mutter der zweiten Sängerin, die als handfester Bariton Sand ins Bühnengetriebe streut, dabei nicht nur den Tenor vergrault und als Einspringerin für die Mezzosopranistin agiert, sondern schließlich die ganze Truppe in die Flucht schlägt: »Viva la Mamma!« heißt die neue Produktion der Opernschule, die Ende Januar im Wilhelma Theater Premiere hat. Sie basiert auf Gaetano Donizettis 1827 in Neapel uraufgeführter Opernfarce »Le convenienze ed inconvenienze teatrali «, die vom Komponisten vier Jahre später für Mailand erweitert wurde und in mehreren Fassungen vorliegt. Statt des sperrigen Titels der »Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten des Theaters« haben sich der Dirigent Bernhard Epstein und der Regisseur Hendrik Müller für das bekanntere »Viva la Mamma!« entschieden – übrigens ein Stück, das auf den Opernbühnen wieder Konjunktur hat. In Wien an der Volksoper und in Florenz, in Prag und Minsk, in Dessau und Sarajevo wurde es in den beiden letzten Jahren gespielt. Eine bravouröse Aufführung der Opéra de Lyon kann man sogar auf YouTube genießen. Sängerisch haben die theatralischen »Sitten und Unsitten« des 30-jährigen Donizetti eine Menge zu bieten zwischen Belcanto-Bravourarien der Protagonisten der zu probenden Opera seria »Romolo ed Ersilia«, Charakterszenen der Spieler, witzigem Parlando und pointierten Rezitativen. Ganz abgesehen von den komödiantischen Typen, die den Gesang-Studierenden mit ihren diversen Opernerfahrungen auch darstellerisch reichlich Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Wer schon einmal bei Opernaufführungen im Wilhelma Theater war – zuletzt bei »Rigoletto«, Carter/Puccini (2017), »Hoffmanns Erzählungen« oder »Figaro« (2016) – weiß, wie engagiert sich die jungen Sängerinnen und Sänger ins Zeug legen und wie erstaunlich das stimmliche Material und dessen kultivierter Einsatz oft sind. Gesungen wird selbstverständlich auf Italienisch (mit deutschen Übertiteln der textnahen Übersetzung von Sergio Morabito), ergänzt wird die turbulente Handlung mit Bravourarien aus »Poliuto« von Donizetti und »Tancredi« von Rossini sowie dessen »Katzenduett«. Und die Inszenierung wagt auch den aktuellen Bezug. Im hauseigenen Ankündigungstext heißt es dazu: »Wie lange werden KünstlerInnen noch tun dürfen, was sie tun – in einer durchökonomisierten Welt, in der der Spieltrieb des Künstlers als nur mehr dekoratives Schmuckwerk gerade noch geduldet wird? Unsere KünstlerInnen spielen dagegen mit aller Macht an. Ihr Spieltrieb wird sich nicht wegrationalisieren lassen.« Das klingt nach Herausforderung auch fürs Publikum. Dass »Viva la Mamma!« komödiantisch zündet, das garantiert Donizettis Musik: Es spielt das Stuttgarter Kammerorchester zusammen mit Bläser- Studierenden der Musikhochschule. Bernhard Epstein, seit acht Jahren künstlerischer Leiter der Opernschule, ist stolz auf die internationale Streuung seines Ensembles, in dem Studierende aus Island, Brasilien, Korea, Griechenland, Holland, der Türkei und Deutschland zusammenwirken. Dass in Baden-Württemberg für Nicht-EUAusländer ab diesem Wintersemester Studiengebühren erhoben werden, findet Epstein daher wenig hilfreich.
Dietholf Zerweck