Jenseits vom Weißenhof
Das Bauhaus-Jubiläum als Schwerpunkt des Kunstprogramms 2019/20
Allseits bekannt und längst vertraut? Auch 100 Jahre nach Gründung des Bauhauses in Weimar birgt das Neue Bauen der 1920er Jahre so manche Überraschung. In der Saison 2019/2020 steht das Thema deshalb im Kunstprogramm der Kulturgemeinschaft im Fokus. Michael Wenger hat es konzipiert und verrät vorab, was geplant ist.
Herr Wenger, die Kulturgemeinschaft ist dafür bekannt, dass sie gerne aus der konventionellen Kunstbetrachtung aussteigt und neue, oft überraschende Wege geht. Nun steht mit »100 Jahre Bauhaus« ein Thema im Fokus, das Kunstinteressierten aus der Region durch die Weißenhof- Siedlung vermutlich bestens vertraut ist. Lässt sich da überhaupt noch etwas Überraschendes herausarbeiten? Aber ja! Schauen Sie nur auf den Untertitel unseres Fokus-Themas: Der lautet »Werk und Wirkung von Stuttgart bis Chicago«. Chicago? Ja, genau. László Moholy-Nagy gründete 1937 in Chicago eine Designschule. Mies van der Rohe folgte ihm 1938. So entstand das »New Bauhaus«. Wir reisen gemeinsam nach Chicago und ziehen dort die Linie weiter bis zu Frank Lloyd Wright.
Wie sieht es denn mit den Wurzeln des Bauhauses aus? Ziehen Sie die Linie auch zurück in die Vergangenheit? Selbstverständlich. Eine unserer Kunstreisen führt nach Weimar, wo wir uns die einschlägigen Bauwerke sowie das neu eröffnete Bauhausmuseum mit der Sonderausstellung anschauen. Auch ein Besuch der Kunstgewerbeschule ist dabei. Ebenso wichtig ist es uns aber, vor Ort den geistigen Ansätzen des Bauhauses nachzuspüren. Hier spielt die Philosophie Nietzsches eine Schlüsselrolle, aber auch das humanistische Weltbild der Klassik.
Schiller und Goethe als Urväter des Bauhauses? Durchaus! Ein großes Anliegen der Klassik ist die Philanthropie. Die Klassik stellt den Menschen mit seinen Erfahrungen, Empfindungen und seiner Sittlichkeit ins Zentrum. Es ist dieselbe Philanthropie, die nach dem Ersten Weltkrieg die Bauhausgründer dazu veranlasst, sich der neu entstandenen Klasse des Proletariats zuzuwenden. Dass dies ausgerechnet in Weimar geschieht, ist für mich kein Zufall. »Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben, bewahret Sie!«, formulierte es Schiller. Exakt dieses Ziel verfolgt das Neue Bauen: Menschenwürdige Lebensverhältnisse für Massen!
Wie greifen Sie das Fokusthema denn in den Kunsttagen und den Kunstabo-Veranstaltungen auf? Ein Kunsttag führt uns nach Karlsruhe, wo wir im ZKM eine Ausstellung mit einem wunderbaren Titel besuchen: »Die ganze Welt ein Bauhaus«. In Karlsruhe gibt es auch eine der größten Bauhaussiedlungen Deutschlands. Die zweite große Bauhausmetropole nach Berlin aber ist Frankfurt. Deshalb haben wir gleich zwei Kunsttage eingeplant: Einmal stehen die Frankfurter Kirchen der 1920er Jahre, das andere Mal der Siedlungsbau im Mittelpunkt. Auch in der Region Stuttgart begeben wir uns auf Spurensuche: in der Innenstadt, in Esslingen und auf der Alb – lassen Sie sich überraschen.
Es gibt auch zwei Kunsterlebnisse zum Thema ... Ja, wir haben ein Kunsterlebnis zum Verhältnis von Neuem Bauen und Kunstgewerbe im Programm, auf das ich mich sehr freue: »Art Deco trifft Bauhaus«. Dabei kommt übrigens auch Bauhausmusik zum Klingen. Ein zweites Kunsterlebnis führt in die schöne Stuttgarter Siedlung Raitelsberg.
Was erwartet uns im Kunstabo? Unter anderem zwei Vorträge. Einmal zum Wirken der Frauen am Bauhaus und einmal zu den Häusern der Bauhausmeister in Dessau. Außerdem haben wir spannende Führungen im Programm – so etwa zu Mode und Textil in den 1920er Jahren. Es lohnt sich auf jeden Fall, das Programm genau anzuschauen.
Die Fragen stellte Angelika Brunke