Im Schutz der Anonymität
Die Maske im Theater - von den alten Griechen bis heute
Ob sie wohl auch Probleme mit dem Atmen hatten? Derzeit wird viel geklagt über den Mundschutz, weil er beim Atmen und Sprechen oft stört. Wie aber haben es die Schauspieler in der Antike wohl gemacht, die ihr Gesicht sogar über Stunden mit einer starren Maske verdecken mussten? Mehr noch: Sie spielten für ein Massenpublikum. Rund 17 000 Zuschauer sollen in der Agora von Athen Platz gehabt haben. Und jeder einzelne von ihnen wollte verstehen, was auf der „Skene“ gesprochen wurde.
Der Ritter schloss in früheren Jahrhunderten das Visier, um sich vor der feindlichen Welt zu schützen. Heute ist das unverhüllte Gesicht dagegen eine wichtige Voraussetzung für ein offenes und friedliches Miteinander der Menschen. Deshalb weckt der Gesichtsschleier von Frauen mitunter Unmut und sind Vermummungen bei Demonstrationen sogar verboten. Wir wollen, dass das Gegenüber Gesicht zeigt.
Typisierte Masken im antiken Griechenland
Dabei sind Masken fast so alt wie die Menschheit und spielten in vielen Kulturen und Religionen eine wichtige Rolle. Auch das Theater, wie wir es heute kennen, hat seine Wurzeln im rituellen Spiel im antiken Griechenland. Im Lauf der Jahrzehnte kristallisierte sich ein fester Kreis von Figuren heraus. Damit das Publikum diese erkannte, trugen die Schauspieler typisierte Masken.
Wenn heute Stücke antiker Autoren auf die Bühne kommen, fehlen die Masken meist, weil die Mimik das wichtigste Ausdrucksmittel der Schauspieler ist. Das Regietheater will die Bühnentexte nicht originalgetreu wiedergegeben, sondern eine Diskussionsgrundlage liefern, die zum Denken anregt. Dazu werden Texte manchmal sogar konterkariert. Wenn sich Mimik und Text widersprechen, interpretiert man als Zuschauer ganz selbstverständlich, dass die Figur innerlich zerrissen ist.
Aber auch im antiken Griechenland waren die Konflikte, die die Figuren auszustehen hatten, keineswegs eindimensional. In den Tragödien wurden meist schwer lösbare Probleme der Tagespolitik verhandelt, denn letztlich war es die Aufgabe des Theaters, die attischen Bürger auf das Gemeinwesen zu verpflichten. So wird Kreon in der „Antigone“ von Sophokles in schwere Gewissenskonflikte gestürzt, denn er muss seine Nicht bestrafen, die gegen sein Gesetz verstoßen hat – weil das Recht für alle gelten sollte. Die Masken brachten die Gefühle der Figuren dabei besser zum Ausdruck. Vor allem halfen sie den Schauspielern bei der Darstellung der weiblichen Rollen. Denn Frauen durften im antiken Theater nicht mitspielen.
Verhüllung im venezianischen Karneval
Heute, da das Gesicht des Individuums eine Art Markenzeichen ist, das man „nicht verlieren will“, genießt die Maske keinen allzu guten Ruf mehr. Denn beim venezianischen Karneval erhielt die Maske erstmals eine neue Funktion: Statt eine Rolle zu definieren, sollte sie das Gesicht nun verhüllen, weil man sich im Schutz der Anonymität verbotene Freiheiten erlauben und Standesschranken überwinden wollte. Seither steht die Maske auch für Lüge und Unaufrichtigkeit, weil der Träger – ob Demonstrant oder Bankräuber – offensichtlich etwas zu verstecken hat. Er will unerkannt bleiben.
Auf der Bühne hat sich die Maske dagegen über Jahrhunderte erhalten – etwa in der volkstümlichen Commedia dell’arte, bei der feste Typen auftraten. Der berühmteste, der Harlekin, ist ein subversiver Spaßmacher, den man heute noch kennt. Auch im japanischen No-Theater und in der chinesischen Oper kommen bis heute Masken zum Einsatz. Im europäischen Theater sind sie aber weitgehend verschwunden und lassen sich höchstens noch im Kontext des Figurentheaters finden.
Aber man muss sich nichts vormachen. Schon Diderot wusste, dass der Schauspieler zwar sein Gesicht zeigt, aber mit demselben Gesicht verschiedene Masken aufsetzen kann. Und auch wenn nur noch in wenigen Fällen Masken auf der Bühne eingesetzt werden, haben sie sich letztlich doch erhalten – zumindest im Sprachgebrauch. Schließlich gehen die Schauspieler vor ihrem Auftritt in die Maske, wo ihnen die Maskenbildner mit Schminke eine Rolle ins Gesicht schreiben.
Adrienne Braun