Hoffnung als Folter
Andrea Breth kehrt mit zwei zeitgenössischen Einaktern an die Oper Stuttgart zurück
Musikalisch haben der Italiener Luigi Dallapiccola und der 48 Jahre jüngere Wolfgang Rihm, der mit breitem Konsens als der bedeutendste lebende deutsche Komponist eingeschätzt wird, nicht so arg viel gemeinsam. Das gilt freilich auch für Béla Bartók und Arnold Schönberg, deren »Herzog Blaubarts Burg« und »Erwartung« auf der Bühne gerne gekoppelt werden. Es ist offenbar die Thematik der Libretti, welche die Oper Stuttgart in ihrer Koproduktion mit dem Brüsseler Théâtre de la Monnaie die Einakter »Der Gefangene« und »Das Gehege« an einem Abend zusammenbringen ließ. Dallapiccolas »Gefangener« von 1949 folgt der Novelle »Folter durch Hoffnung« des französischen Symbolisten Auguste de Villiers de l’Isle- Adam, die der Komponist in die Welt von Charles De Costers Ulenspiegel-Roman transferiert hat. Wolfgang Rihm wiederum hat sich für seine Einpersonenoper »Das Gehege« von 2005 – Rihm nennt sie eine »Nachtszene für Sopran und Orchester « – einen Auszug aus dem Theaterstück »Schlusschor« von Botho Strauß geliehen. »Das Gehege« ist im Auftrag der Bayerischen Staatsoper als Vorspiel zur »Salome« von Richard Strauss entstanden und wurde mittlerweile in unterschiedlichen Kombinationen aufgeführt. In beiden Kurzopern geht es um die Dialektik von Freiheit und Unterdrückung, um das ambivalente Verhältnis zwischen Gefangenem und Wärter. Es handelt sich um eine Problematik, die wohl wegen ihrer Nähe zu realen Erfahrungen – modernes Stichwort: Stockholm-Syndrom – durch die Literaturgeschichte geistert, von Dostojewski und Kafka bis zu Camus und zu Dallapiccolas Altersgenossen Sartre. Verbunden werden die beiden Werke auch durch die spanische Sopranistin Ángeles Blancas Gulin, deren Eltern beide bereits berühmte Opernsänger waren. 2010 sagte sie in einem Interview: »Ich kann nicht leugnen, dass es mir natürlich gefallen würde, in Theatern zu singen, wo ich es noch nicht getan habe, wie der Metropolitan in New York oder der Opéra Bastille in Paris.« Jetzt wird sie am Eckensee zu sehen und zu hören sein. Die Stuttgarter dürfen sich freuen. Regie führt an diesem zweistündigen Opernabend Andrea Breth, die vor dreieinhalb Jahren mit Wolfgang Rihms »Jakob Lenz«, ebenfalls einer Koproduktion mit La Monnaie und mit dem für die aktuelle Produktion nach Stuttgart zurückkehrenden französischen Dirigenten Franck Ollu, auf allgemeine Begeisterung traf. In der Rolle des Gefangenen wird man Georg Nigl, dem gefeierten Stuttgarter Lenz und dem Aschenbach aus Benjamin Brittens »Tod in Venedig«, wiederbegegnen. Und das Bühnenbild stammt vom Favoriten der Regisseurin, von Martin Zehetgruber. Andrea Breths legendäre Inszenierung von Schillers »Don Karlos« im Jahr 2004 oder auch von John Hopkins‘ »Diese Geschichte von Ihnen« erst kürzlich prädestiniert sie für die düsteren Sujets von Dallapiccola und Rihm. Ihre Ernsthaftigkeit und Genauigkeit passen optimal in die der intellektuellen Herausforderung niemals ausweichende Stuttgarter Dramaturgie. Die Stuttgarter Oper wirft die These auf, Dallapiccolas früher häufig aufgeführter »Gefangener« reagiere auf den zur Zeit der Entstehung sich verschärfenden Kalten Krieg, wie Rihm oder vielmehr Botho Strauß das Ende des Kalten Kriegs im Auge gehabt habe, als er seinen Monolog in der Nacht der Berliner Maueröffnung ansiedelte. Man darf davon ausgehen, dass Andrea Breth beide Stücke nicht als Rückblick auf eine historische Vergangenheit inszenieren wird. Dafür sind sie zu allgemeingültig – wie die Werke von Dostojewski und Kafka, von Camus und Sartre.
Thomas Rothschild