Erde, Luft und Hochzeitsmusik
Willkommen: Thomas Zehetmair gibt sein Antrittskonzert mit dem Stuttgarter Kammerorchester
Mit Beginn der neuen Spielzeit tritt der Salzburger Thomas Zehetmair sein neues Amt als Chefdirigent des Stuttgarter Kammerorchesters an. Als Geigenvirtuose und Kammermusiker international renommiert und seit Jahrzehnten auch in der Rolle als Dirigent von Kammerorchestern wie der Northern Sinfonia, des St. Paul Chamber Orchestra, des Orchestre de Chambre de Paris oder des Musikkollegiums Winterthur engagiert, will er dieKlangqualität seines neuen Orchesters in den kommenden Jahren zu neuen Gipfeln führen. »Ich bin sehr gespannt, wohin die Reise geht«, sagt Zehetmair vor seiner ersten Saison, in der er mit dem Stuttgarter Kammerorchester »viele vielfältige Klänge und Farben«, von der großen Sinfonie bis zu feinen kammermusikalischen Werken, gestalten will.
Das Auftaktkonzert am 29. September im Beethoven- Saal der Liederhalle reflektiert die Vielfalt von Zehetmairs Repertoire und Interessen als Musiker. »Kosmogonie« lautet der Titel des Abends, und es beginnt – nach einem kurzen einleitenden Marsch von Wolfgang Amadeus Mozart – mit Jean-Féry Rebels barocker Tanzsuite »Les Éléments«, denen das Chaos vorangestellt ist: ein alle sieben Töne der Tonleiter in schockierender Dissonanz übereinander stapelnder Cluster, dem erst allmählich mit Erde, Wasser, Feuer und Luft die ordnenden Elemente folgen und in weiteren Sätzen Vogelgezwitscher, Jagd und Tambourin- Rhythmen bis zu einer »Air pour l’amour«. Als 70-Jähriger hat der Pariser Geiger und Hofkomponist, Schüler von Jean-Baptiste Lully und Direktor der Concerts spirituels, diese bildhafte Programmmusik geschaffen.
Komplexe Spiegelungen der Musik des 20. Jahrhunderts prägen die 1969 entstandenen »Ramifications « des ungarischen Komponisten György Ligeti. Während sein berühmtes Stück »Atmosphères «, welches durch Stanley Kubricks Film »2001: A Space Odyssey« populär wurde, den Klang als Gegenentwurf zu den Formeln der seriellen Musik in dichte, unveränderliche Strukturen bannte, lockert Ligeti diese in seinen mikrotonalen »Verästelungen« immermehr auf, verfeinert siezufluktuierendenchromatischenHarmonien. Dabei ist die Hälfte der Streichinstrumente einenVierteltonhöhergestimmt. »‚Ramifications‘ sind gleichsam ein Endpunkt in der Entwicklung von dicht und statisch zu durchbrochen und beweglich «, schreibt Ligeti zu seinem Stück. Beim Antrittskonzert mit seinem neuen Klangkörper wird Thomas Zehetmair die Klangexperimente Ligetis subtil auszudeuten wissen.
Bei Mozarts »Haffner-Serenade« ist Klang dagegen Harmonie in Vollendung. Da Thomas Zehetmair sich mit historischer Aufführungspraxis auf Originalinstrumenten bestens auskennt, wird sich auch seine Interpretation der acht Serenaden-Sätze, die Mozart 1776 zur Hochzeit der Schwester seines Salzburger Freundes Sigmund Haffner komponierte, wohl daran orientieren. In drei Sätzen – Andante, Menuetto und Rondeau – spielen dabei ausgiebige Violinsoli eine Rolle, die Zehetmair selbst ausführenwird. Hochzeitsmusik zum Beginn seiner Partnerschaft mit dem Stuttgarter Kammerorchester–das klingt wie ein gutes Omen.
Dietholf Zerweck