Ein Stück, das keiner spielen will
Trotzdem: Die Tri-Bühne bringt Wolfgang Borcherts Antikriegsstück »Draußen vor der Tür«
»Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will«, das verspricht der Untertitel des zu verhandelnden Werks. Jetzt gilt es also nur noch, einen dazu passenden Artikel zustandezubringen, den keiner lesen will. Die Rede ist von Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür«, dessen Inszenierung von Alejandro Quintana ab Mai im Theater Tri-Bühne zu sehen ist. Das Drama um den Kriegsheimkehrer Beckmann zählt zu jenen Stoffen, die einem jegliche Lust am Krieg nehmen – es soll ja gerade wieder Leute geben, die solche verspüren; die den Hinschied im Dienste des Vaterlands romantisieren, die wirtschaftliches Interesse an der brutalen Auseinandersetzung haben oder einfach stolz auf die Leistungen dereinst mordender Soldaten sein wollen. Wer »Draußen vor der Tür« gesehen hat, lässt sich von derlei Zynikern nicht länger blenden. Man begegnet verkrüppelten, traumatisierten Männern, auf ewig gebrochen vom Wahnsinn der Schlacht. Die Gesellschaft hat keine Ahnung, was sie mit ihnen noch anfangen soll. Nichts Heroisches haftet diesen Heimkehrern an. Sie sind nurmehr Elend. Auch Beckmann (Christian Werner) ist »einer von denen«, wie Borchert formuliert. Seine Frau hat sich anderweitig umgeschaut, selbst ein hübsches, namenloses Mädchen (nicht nur hübsch: Corinne Steudler) kann die Suizidgedanken bloß kurz verjagen. Dass Borchert in diesem Szenario voll Bitterkeit und Schmerz auch komische Elemente unterbringen konnte, zeugt von seiner schriftstellerischen Brillanz, die in frühen Jahren angeblich noch nicht zu erahnen war: »Ein Allesversucher und Nichtskönner«, urteilte sein Biograf Peter Rühmkorf über den jungen Borchert. Spätestens aber als »Draußen vor der Tür« Anfang des Jahres 1947 als Hörspiel ausgestrahlt wurde, interessierte sich das ganze kaputte Land für sein Schaffen. Uraufgeführt hat man das Drama indes erst am 21. November 1947, einen Tag nach dem Tod des Autors. Dieser verstarb im Alter von nur 26 Jahren aufgrund einer Lebererkrankung. Borchert, der immer wieder spöttische Kritik am Regime der Nationalsozialisten äußerte und dafür auch inhaftiert wurde, war 1941 in die Wehrmacht eingezogen worden. Die Front bescherte ihm schwere Verletzungen und Erfrierungen zweiten Grades. Nach Kriegsende nahmen ihn französische Truppen gefangen. Als ihm die Flucht gelang, kämpfte er sich zu Fuß bis nach Hamburg durch – eine Strecke von über sechshundert Kilometern. So richtig auf die Beine kam er nie mehr, er litt an Fieberanfällen und blieb bettlägerig. »Draußen vor der Tür« verfasste er innerhalb von acht Tagen. Die Nachricht vom Tod erreichte die Hamburger Kammerspiele kurz vor Beginn der Premiere, der Regisseur informierte das Publikum. Auch Borcherts Eltern waren anwesend. Nicht nur das Stück selbst, auch seine Entstehungsgeschichte ist also beeindruckend. Glücklicherweise hat Regisseur Alejandro Quintana etwa mit seiner Inszenierung von Roland Topors »Ein Winter unterm Tisch« bereits bewiesen, dass er unerquickliche Thematiken mit subtiler Komik auf die Bühne zu bringen weiß. Der besonderen Atmosphäre, die das Drama schon beim Lesen evoziert, könnte zudem zuträglich sein, dass Quintana eine vierköpfige, von Sebastian Huber angeleitete Band aufgefahren hat. Wolfgang Borchert schrieb viele wahre Sätze. Blanker Unfug ist indes, dass »Draußen vor der Tür« weder von Theatern gespielt noch von Zuschauern gesehen werden will. Im Gegenteil. Und weil wir justament wie aus dem Texterlehrbuch auf die Einleitung rekurrieren: Da Sie es offenkundig bis hier geschafft haben, ist auch dieser Ankündigungstext seinem Anspruch des Nichtlesen- Wollens nicht gerecht geworden. Ärgerlich.
Cornelius W. M. Oettle