Deutsche Sprache, schwere Sprache
Eine Uraufführung an der Tri-Bühne gibt lustigen Sprachunterricht mit ernsten Untertönen
Gesucht wird ein Wort. Wenn man an der Kasse im Supermarkt die eigene Ware von jener des Vordermanns separieren möchte, gibt es da doch ein bekanntes Utensil, das diesem Zwecke dienlich ist. Wissen Sie, wie das heißt? »Warentrenner?«, rät der unbedarfte Autor dieses Textes. »Kassentransportbandübersichtstrennholz «, erklärt ihm Edith Koerber, Mitgründerin und Intendantin des Thea ters Tri-Bühne. Wieder was gelernt. Ums Lernen geht es auch im neuen Stück »Warum, warum?«, das Koerber selbst inszeniert und das im März Premiere feiert. Genauer: ums Erlernen der deutschen Sprache. Die hat es in sich, wie bereits Mark Twain in seinem Essay »The Awful German Language« respektive »Die Schrecken der deutschen Sprache« festhielt: »Man treibt darin umher wie in einem brandenden Meer, bald hierhin, bald dorthin, in der elendesten Hilflosigkeit, und wenn man einmal glaubt, eine Regel gefunden zu haben, welche festen Grund bietet, um einen Augenblick in dem allgemeinen Wirrwarr und Tumult der zehn Redeteile auszuruhen, so vernimmt man in der Grammatik: ›Der Schüler gebe acht auf folgende Ausnahmen.‹ Ein Blick auf diese zeigt ihm, dass deren mehr sind, als Beispiele für die Regel selbst.« Diese Ausführungen Mark Twains inspirierten Géza Révay, den Autor des Stücks, der aus Budapest stammt und seit 1957 in Stuttgart lebt. Ursprünglich sollte »Warum, warum?« einen anderen Titel bekommen, nämlich »DAS Mädchen und SEINE Rübe«. Eine Anspielung auf Twain, dem schier das Hirn zu den Ohren rauslief, weil etwas Banalem wie einer Steckrübe im Deutschen der weibliche Artikel vorausgeht, während etwas offenkundig weibliches wie ein junges Mädchen ein neutrales Genus hat. In Révays komischem Drama legen sich gleich fünf Ausländer diverser Herkünfte mit dieser verzwickten Sprache an. Im Kurs begegnen sich Brünnhilde aus Namibia (Babra Tandale-Gundermann), der spanische Liedermacher Diego (Tobias Thiele), die griechische Putzfrau Sophia (Evangelia Karipoglou), die italienische Managerin Fiorella (Serena Bellini) und Ken (David Augustin), der von der afrikanischen Goldküste über Haiti und die USA in die Bundesrepublik kam. Der Lehrer ist Russe: Wladimir, gespielt von Alexej Boris, unterrichtet auf seinem Dachboden. Dabei kommen allerdings auch durchaus ernste, kritische Töne zum Tragen. So ist Brünnhilde etwa im Land, um den Schädel ihres Urgroßvaters zurückzuholen: Noch heute befinden sich Gebeine im Preußischen Kulturbesitz, die die Deutschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach dem Abschlachten zehntausender einheimischer Herero aus der damaligen Kolonie »Deutsch-Südwestafrika «, dem heutigen Namibia, zur »Rasseforschung « exportierten. Ein aktuelles Thema: Derzeit klagen Herero- und Nama-Verbände vor einem New Yorker Gericht, weil sich die Bundesregierung den Gesprächen mit ihnen verweigert. Jede dieser Figuren könnte wohl ein Stück für sich beanspruchen, doch in »Warum, warum?« müssen sie nicht nur Deutsch, sondern auch lernen zusammenzuarbeiten. So will es der Lehrer, der laut Koerber versucht, »ein Wir in dieser Gruppe zu erzeugen «, der einen Gegenentwurf zum neoliberalen Ansatz der Gegenwart zeigen will. Eine zentrale Rolle spiele die afrikanische Philosophie »Ubuntu«, was so viel bedeutet wie: »Ich bin, weil wir sind, und weil wir sind, bin ich.« Es gilt also sich Vokabeln wie »Gemeinsinn«, »Nächstenliebe« und »Menschlichkeit « einzuprägen. Dass das je nach Sprache unterschiedlich lange dauern kann, wusste Mark Twain im Übrigen auch: »Nach meiner Erfahrung braucht man zum Erlernen des Englischen 30 Stunden, des Französischen 30 Tage, des Deutschen 30 Jahre.«
Cornelius W. M. Oettle