»Das ist nicht zu glauben, was in der Musik für Feuer ist«
Das Stuttgarter Kammerorchester widmet sich den Lokalhelden der Musik von gestern und heute
Es ist eines der letzten Konzerte, das Matthias Foremny als Chefdirigent des Stuttgarter Kammerorchesters gibt, bevor im September Thomas Zehetmair die künstlerische Leitung übernimmt. Mit dem Titel »Local Heroes« steht ein originelles Motto über dem Programm, das sowohl die Solisten wie im weiteren Sinne auch die aufgeführten Komponisten mit einschließt. Die Geiger Yu Zhuang und Piotr Szabat sind in der Tat Lokalmatadoren, die beide zum Stamm des Orchesters gehören, Zhuang seit 2015 als Zweiter Konzertmeister. Was die lokalen Helden unter den Komponisten betrifft, geht der Blick von Stuttgart ins Badische oder, genauer gesagt, ins Kurpfälzische.
Dort, in Schwetzingen-Mannheim, war der gebürtige Wiener Ignaz Holzbauer sein halbes Leben lang Kapellmeister der berühmten Hofkapelle des Kurfürsten Carl Theodor. Auch Anton Stamitz und Friedrich Eck, von denen im Theaterhaus am 6. Juni gleichfalls Werke auf dem Programm stehen, waren dort als Geigenvirtuosen tätig.
Ignaz Holzbauer, von dem ein »Notturno« im Konzert zu hören sein wird, stellt auch die Verbindung von Stuttgart ins Badische her, denn nach Stationen in Venedig, Mailand und anderen italienischen Städten kam er 1751 als Oberkapellmeister zunächst an den württembergischen Hof, bevor er zwei Jahre später im neu erbauten Schwetzinger Schlosstheater seine Pastoraloper »Il figlio delle selve« uraufführte und sofort für die Hofkapelle engagiert wurde. Mehr als zweihundert Sinfonien, Oratorien, Messen und Kantaten hat er neben einem guten Dutzend Bühnenwerken komponiert, und als Mozart 1777 bei seinem ersten Besuch in Mannheim die Musik von Johann Stamitz, Cannabich und Holzbauer kennenlernte, war der 21-Jährige begeistert: »Die Musick von Holzbauer ist sehr schön. Am meisten wundert mich, daß ein so alter Mann noch so viel geist hat, denn das ist nicht zu glauben was in der Musick für feüer ist.«
Anton Stamitz, von dem zwei Streichersinfonien zu hören sein werden, wurde wie sein Bruder Carl schon in jungen Jahren Geiger in der Mannheimer Hofkapelle und spielte später im Orchestre royal in Versailles. Friedrich Eck, dessen Doppelkonzert A-Dur für zwei Violinen und Streichorchester von Yu Zhuang und Piotr Szabat musiziert wird, kam schon mit zehn Jahren als Sohn eines Waldhornisten in die Hofkapelle und wurde später ein berühmter Geigenvirtuose.
»Eck ist itzt unstreitig einer der allerersten Violinisten in Europa, er besitzt alles, was zu einem vollkommenen Virtuosen gehört und was itzt so wenige haben: Vortrag, Ausdruck, Geschmack, ganz ausserordentliche Fertigkeit, Festigkeit und Sicherheit«, heißt es in einer Berliner Kritik von 1792.
Das Besondere an diesem Konzert: Die Kompositionen der Mannheimer Heroen Stamitz, Holzbauer und Eck sind in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für die Musikgeschichte Baden-Württembergs neu ediert worden und in diesen Fassungen jetzt zum ersten Mal zu hören.
Ein »local hero« der zeitgenössischen Musikszene ist der Karlsruher Wolfgang Rihm. Von ihm spielt das Stuttgarter Kammerorchester im zweiten Programmteil die 1976 komponierte »Nachtordnung – 7 Bruchstücke für 15 Streicher«. Wie bei vielen Werken von Rihm gibt es auch hier Bezüge zu Literatur und Philosophie: Der Werktitel ist einem Gedicht Paul Celans entnommen, in dem dieser einen Gegenpol zur angepassten Existenz des sogenannten Übergehens zur » Tagesordnung« entwirft. Wolfgang Rihm kommentiert: »Nachtordnung ist mir Traumlogik. Einer, der in der Nachtordnung lebt, ihren Gesetzen unterworfen ist, hat eine Grenze überschritten, er hört in sich hinein, unverwundbar und ohne Hast.«
Dietholf Zerweck