Darf ich bitten?
Das Stück „Die Tanzstunde“ im Alten Schauspielhaus führt ein ungewöhnliches Paar zusammen.
Ever Montgomery ist ein angesehener Professor für Geowissenschaften und soll einen bedeutenden Preis erhalten. Die Feierlichkeit aber bringt es mit sich, dass er Hände schütteln und auch noch tanzen soll – ein Alptraum für einen Autisten. Mit Hilfe seiner Nachbarin, der ehemaligen, nun verletzten Tänzerin Senga Quinn, bereitet er sich auf den großen Abend vor. Ihm gebricht es an sozialer Gewandtheit, ihr an der körperlichen: Und unversehens bringen sich zwei Außenseiter gegenseitig dabei, mit ihren Schwächen zu leben.
Regie im Stück „Die Tanzstunde“ im Alten Schauspielhaus führt Martin Schulze, der schon mehrfach für die Schauspielbühnen inszenierte und für „Maria Stuart“ mit dem Publikumspreis bedacht wurde. In der Rolle des sturen Autisten ist Fernsehstar Heiko Ruprecht zu erleben, den man auch als Bruder des Bergdoktors Dr. Martin Grubers kennt. An seiner Seite spielt Klara Pfeiffer als Senga, die 2022/23 in „Der Verschollene (Amerika)“ bei den Schauspielbühnen ihr Debüt hatte. Sie war in der Vergangenheit unter anderem am Theaterhaus Jena und am Mainfrankentheater Würzburg tätig.
Mit wissenschaftlichen Texten, Podcast und Interviews bereitete sich das Team auf das Stück vor. Die wesentliche Erkenntnis in der Vorbereitung: „Den Autisten gibt es nicht“, sagt Martin Schulze. Aber alle Autisten stehen vor Schwierigkeit, sich die vielfältigen sozialen Codes im Alltagsleben erst aufwändig aneignen zu müssen. Eine große Hilfe bei der Figurenzeichnung war Martin Schulze auch ein autistischer Schauspieler, mit dem er bereits gearbeitet hatte. Dabei wurde für ihn deutlich, dass man Autisten manchmal schon von Vornherein das Bedürfnis nach Nähe und gar die Fähigkeit zur Partnerschaft abspricht. Dabei wollen sie ihre Erlebnisse durchaus mit anderen teilen.
„Das Stück ist ein Appell für Begegnung mit Menschen anderer Wahrnehmungsqualitäten“, meint Martin Schulze. Und so gelingt es Ever Montgomery gerade mit seinen direkten Fragen, tief zu Sengas Wesenskern und auch in die Geheimnisse ihrer Familiengeschichte vorzudringen. „Beide lernen voneinander, wie erweiternd es sein kann, alte Muster abzulegen oder zumindest zu hinterfragen“, sagt Martin Schulze.
Natürlich bleiben Missverständnisse nicht aus und führen zu komischen Situationen. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden und die Entwicklung ihrer Zuneigung unterstreicht die Inszenierung mit Videos und Zwischenspielen. Während der Analytiker Ever Montgomery zum Beispiel mittels eines Archivs Gesichtsausdrücke von Senga zu entschlüsseln versucht, informiert sich die Tänzerin über das Internet zu Autismus. Und am Ende wird natürlich getanzt, so viel sei verraten. Für die Produktion hat Martin Schulze mit der Schauspielerin Bianca Spiegel zusammengearbeitet, die an mehreren Stuttgarter Bühnen spielte, als Sprecherin wirkt und 2018 Deutscher Meister mit ihrer Salsa Lady Style Gruppe „Mambonitas“ wurde.
Anne Abelein
Die Tanzstunde // 6.-8., 13.-15., 20., 27., 28. Februar / Altes Schauspielhaus / Karten für Mitglieder: 13-24 Euro