Blitzschnelle Reflexe
Das Nederlands Dans Theater 2 zeigt im Forum Ludwigsburg bewegende und minutiös getaktete Choreografien
1978 wurde das Nederlands Dans Theater 2 als Ableger der großen Kompanie und Schmiede junger Talente gegründet. Inzwischen hat es sich längst zu einem eigenständigen Ensemble mit einem facettenreichen Repertoire und einem umfangreichen Tourneen-Plan entwickelt. Das NDT2 kooperiert mit einer großen Bandbreite an etablierten und aufstrebenden Choreografen und verleiht so den Tänzern die Fähigkeit, sich rapide unterschiedliche Tanzsprachen, -techniken und Arbeitsmethoden anzueignen.Nach wie vor geht es aber darum, die Künstlerpersönlichkeiten der Tänzer zu entwickeln. Im Moment sind es 19 an der Zahl, die in insgesamt drei Jahren diesen Weg durchlaufen.
Der Ballettabend am 10. und 11. Februar im Forum Ludwigsburg spannt den choreografischen Bogen von Marco Goecke über Nadav Zelner bis hin zu Edward Clug. Goeckes „The Big Crying“ ist seine wohl persönlichste Choreografie, die er 2020 nach dem Tod seines Vaters zu entwickeln begann. Sie handelt von Abschied und Tod, „von allem, was wir verbrennen müssen“, wie der Choreograf sagt, steht aber letztendlich im Zeichen des Lebens. Die nervös zuckende, verzweifelte Tanzsprache erinnert an defekte Motoren, und die Kostüme lassen sich mit den Vorhängen von Leichenwagen assoziieren. Manchmal brechen die Tänzer in stumme Schreie aus, dann wieder bringen sie unbändige Lebensfreude zum Ausdruck. Die Produktion ist unter anderem mit dem düsteren Lied „Blood Roses“ der US-amerikanischen Songwriterin Tori Amos unterlegt. Der herausragende Choreograf Marco Goecke wurde im Mai 2022 mit dem Deutschen Tanzpreis gewürdigt. Er war von 2005 bis 2018 Hauschoreograf beim Stuttgarter Ballett und hat 2019/20 die Ballettdirektion der Staatsoper Hannover übernommen. Für das NDT wirkt er seit 2013 als Associate Choreographer.
Das zweite Stück „Bedtime Story“ stammt vom jungen israelischen Choreografen Nadav Zelner, der mit seinen unorthodoxen Stücken ganz Europa begeistert und auch mehrfach bei Gauthier Dance in Stuttgart gastierte. Zelners intensive Träume waren es, die ihn zu der Produktion anregten. In den Kostümen von Maor Zabar spiegeln sie sich in Form von Schlangen wider. Begleitet von energetischen Rhythmen aus Nordafrika und dem Nahen Osten schildert der Choreograf in der rasanten, akrobatischen Sprache von Videoclips und mit viel Witz die unglaublichen Dinge, die sich zwischen Schlaf und Erwachen zutragen, und bringt dabei eindrucksvoll die Tänzerpersönlichkeiten zur Geltung.
„Jedem Stück, das ich entwickle, liegt Musik zu Grunde. Da ich tunesische Wurzeln habe, war die Wahl von nordafrikanischer Musik nur natürlich. Statt Erinnerungen zu entfliehen, erforsche ich sie“, sagt Nadav Zelner. „Wir sollten uns wieder mit dem Kind in uns verbinden“, meint der Choreograf außerdem. Zelner hat auch ein starkes Faible für das Kinematografische und hat bereits Tanzkurzfilme entwickelt, unter anderem für Gauthier Dance, und Auftragsarbeiten für Film und Fernsehen übernommen, so etwa für den Eurovision Song Contest 2019 oder die israelische TV-Show „Lip Sync Battle“. Auch auf Youtube war er mit tänzerischen Minidramen präsent. Mit „Bedtime Story“ gibt er sein Debüt beim NDT2.
Den Schluss des Abends bildet die Arbeit „Cluster“ von Edward Clug. Er ist einer der gefragtesten zeitgenössischen Choreografen und hat für das Stuttgarter Ballett jüngst eine neue „Nussknacker“-Version geschaffen. Edward Clug entwirft zu den nervösen Klängen des slowenischen Komponisten Milko Lazar gleichsam eine Meeresfantasie, in der es zugeht wie in einem von Leben wimmelnden Korallenriff. Die Bewegungen sind mit chirurgischer Präzision getaktet und greifen wie Zahnräder ineinander. Clugs Ansatz war ungewöhnlich: Er begann ohne ein festes Konzept, eine Idee oder eine Musik und verfolgte stattdessen aufmerksam, wie sich die Tänzer aufeinander einstimmten und eine Art „Cluster“ bildeten. So lautet dann auch Titel des Stücks. Der in Rumänien gebürtige Choreograf wirkte ab 2003 als künstlerischer Direktor des Slowenischen Nationaltheaters in Maribor und schuf unter anderem Arbeiten für das Stuttgarter Ballett und das Ballett Zürich. Clug wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, wie zum Beispiel mit dem “Special Award for Best Choreography” beim International Theatre Festival MESS in Sarajewo 2011. Seine erste Arbeit „Mutual Comfort“ für das NDT2 2015 markierte seinen Durchbruch in den Niederlanden.
Anne Abelein
Nederlands Dans Theater | NDT 2 // 10. u. 11. Februar / Forum Ludwigsburg / Karten für Mitglieder: 17-45 Euro, Freier Verkauf: 17-49 Euro, Ermäßigung für SchülerInnen und Studierende