Besuch bei einer alten Dame
Die letzten Tage der Kriminalschriftstellerin Patricia Highsmith
Andere Autoren von Kriminalromanen machen Detektive oder Kommissare zu den Helden ihrer Bücher, erzählen von der Aufdeckung eines Falls. Bei Patricia Highsmith ist das nicht so: Held ihrer berühmtesten Bücher ist Tom Ripley, ein skrupelloser, verschlagener Mörder, einer, der seine Taten so selbstverständlich und gewissenlos begeht, dass er immer davonkommt, wenn auch manchmal knapp. Patricia Highsmith verstand es, ihre Leser zu korrumpieren. Bei ihr siegt das Böse – und der Leser ist auf seiner Seite.
Edward Ridgeway ist ein kleiner Angestellter des amerikanischen Verlages, in dem Patricia Highsmiths Bücher erscheinen. Er wurde von New York in die Schweiz geschickt, um Highsmith in ihrem Altersdomizil zu einem neuen Buch zu überreden: Der talentierte Mr. Ripley soll noch einmal die literarische Bühne betreten. Patricia Highsmith aber hat Ripley abgeschworen. Sie weiß, dass ihre große Zeit vorüber ist, hängt morbiden Phantasien nach und empfängt den jungen Ridgeway mit blankem Hohn. Ein Duell zwischen der misanthropischen Schriftstellerin und ihrem Bewunderer beginnt, nimmt immer neue Wendungen, wird ausgefochten mit scharf geschliffenen Sätzen. »Menschen«, wirft Highsmith ihrem Gast gehässig entgegen, »sind am besten, wenn sie am schlechtesten sind.« Und Edward Ridgeway widerspricht ihr nicht.
Joanna Murray-Smith ist es, die dieses Spiel erdachte. Murray-Smith gehört zu den erfolgreichsten und produktivsten Bühnenautoren Australiens. »Switzerland« entstand als Auftragsarbeit für das Geffen-Playhouse in Los Angeles und erlebte 2014 seine Uraufführung; Mitte Januar feiert es Premiere am Theater der Altstadt. Erstmals inszeniert Eric van der Zwaag an diesem Theater; er war es, der dieses Stück für sein dortiges Regiedebüt auswählte. Verena Buss spielt Patricia Highsmith, Ruben Dietze spielt Edward Ridgeway.
Mordwerkzeuge werden jederzeit zur Hand sein in diesem Stück, denn Patricia Highsmith sammelt Waffen. Das Bühnenbild, in dem gespielt wird, auch dies verrät Dramaturgin Sandra Schumacher bereits, wird leicht ins Unwirkliche driften: »Es soll keine naturalistische Arbeit werden, sondern eher einen absurden, surrealen Sog entwickeln. « Ein psychologisches Portrait möchte Eric van der Zwaag nicht abliefern. Stattdessen: eine Szene, in der die kriminelle Phantasie umgeht und ganz unerwartete Haken schlägt, angereichert mit dem üppigen Zynismus, den Joanna Murray-Smith der großen alten Dame des literarischen Mordes in den Mund legt.
Patricia Highsmith wird gezeigt als eine Frau, die am Ende ihres Lebens fast schon aufgeht in den Abgründen der Welt, die sie in ihren Büchern schuf, und als stets schlagfertige Person mit hinreißend boshaftem Humor. Sie starb 1995 mit 74 Jahren; mit der kalorienarmen, nikotinfreien, nüchternen und sportlichen jungen Gegenwart der frühen 1990er Jahre kommt sie in Murray- Smiths Stück nicht zurecht. An einer Stelle des Stücks träumt sie sehr heiter davon, ihren Gast durch Injektionen von Bircher-Müsli foltern zu lassen.
Thomas Morawitzky