Aus der Kulturgemeinschaft
Geschichtssplitter
Nach der Gründung der Stuttgarter Volksbühne e. V. im September 1924 erscheint im selben Monat auch die erste Ausgabe der „Monatshefte der Stuttgarter Volksbühne E. V“. Im Geleitwort geht Karl Mössinger, der Vorsitzende der Stuttgarter Volksbühne, noch einmal auf den Prozess der Gründung einer „Kulturgemeinde“ ein. „Wie manchesmal musste an dem Werk die Arbeit umgestellt, wie manchesmal der ganze Aufbauplan geändert werden, und es gab auch Zeiten, in denen ein leichter Zweifel einzog, ob es überhaupt gelingen sollte, die St. VB. vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Und doch ist in Zeiten schwerster wirtschaftlicher und seelischer Not das Werk gelungen […]. Bis vor wenigen Monaten waren wir eine mehr lose Mitgliedschaft, bei der nur das Interesse des verbilligten Theaterbesuchs das Band der Zusammengehörigkeit bildete. […] Jetzt haben wir aber das ursprünglich gewollte erreicht – eine feste Mitgliedschaft, eine Theater- und, was mehr ist – eine Kulturgemeinde. Diese mehr und mehr auszubauen, sie ihren Zielen näher zu führen, das wird noch ein schweres Stück Arbeit kosten, aber es wird erreicht werden, denn das gute bricht sich Bahn.“
Die Zahl der Mitglieder der Stuttgarter Volksbühne stieg kontinuierlich, im Juli 1925 zählte man bereits 5400 Mitglieder. Allerdings hatte man auch Erwartungen idealer Art an die Mitglieder. „Wer sich der Volksbühne anschließen will, muss durchdrungen sein von der Notwendigkeit einer neuen Gemeinschaftskultur, die alle Volksgenossen teilhaft werden lässt der Errungenschaften kulturellen Strebens, die aufräumt mit allen Privilegien eines satten Spießertums und aller geistiger Bevormundung; und er muss den ernsten Willen zu Kunst haben, aus dem Bewusstsein heraus, dass jedes Erlebnis eines echten Kunstwerksfreier und reicher macht.“
Daneben scheint es aber auch notwendig gewesen zu sein, die Mitglieder über richtiges und falsches Verhalten beim Theaterbesuch ganz praktisch aufzuklären. Auf eher ironische Art stellt man das Verhalten von Theaterbesuchern und Theaterfreunden – beide in der Volksbühnengemeinde vertreten – in der vierten Ausgabe von 1925 gegenüber. Dabei ist der Theaterbesucher weniger rücksichtsvoll als der Theaterfreund. Der Theaterbesucher erscheint erst nach Abdunkeln des Lichts, tritt den anderen Vorstellungsbesuchern auf die Füße, beschwert sich lautstark über die anderen, nimmt geräuschvoll Platz, damit jeder weiß, dass er angekommen ist. Er unterhält sich während der Veranstaltung mit seinem Nachbarn, packt geräuschvoll sein mitgebrachtes Essen aus, das er laut schmatzend verzehrt. Auch nach der Pause kümmert er sich wenig um das Läuten und verhält sich nach dem dritten wie zu Beginn der Vorstellung rüpelhaft. Auch am Veranstaltungsende beginnt er schon vor dem Verklingen des letzten Tons mit dem Run auf die Garderobe. Selbstverständlich verhält sich der Theaterfreund dagegen vorbildlich. Er sitzt bereits vor der Vorstellung auf seinem Platz, bleibt während der Vorstellung still, isst in der Pause, kehrt dann bereits beim ersten Läuten auf seinem Platz zurück und spendet den Künstlern Beifall bevor er zur Garderobe geht.
Konkrete Anleitungen für „Theaterbesuch und Kunstgenuss“ erscheinen auch in der folgenden Ausgabe. Dabei wird nicht nur auf Pünktlichkeit und Ruhe bei der Vorstellung sowie auf das Verhalten danach verwiesen, sondern an erster Stelle steht die Aufforderung “Lasse beim Eintritt ins Theater die Sorgen draußen!“ Es folgen weitere Ratschläge, die eher von aufklärender Art sind, z. B. dass eine Pause in einem Stück künstlerische Absicht ist und deshalb kein Anlass für Räuspern und Rücken ist. Auch Appelle, sich auf das Stück einzulassen und „mitzugehen“ oder sich nicht zu schämen, wenn man von einem Werk ergriffen wird, gehören dazu.
Einen Schwerpunkt in der Publikation liegt aber auf den Informationen zu den gezeigten Stücken und auf Abhandlungen über Kunst. Dabei finden sich Themen wie „Die Arbeiter und das Theater“, „Das klassische Drama der Gegenwart“, „Gedanken über Goethes Kunst“ oder Informatives über die Entstehung eines Bühnenstücks oder das Zustandekommen einer Opernaufführung. Berichte über die Arbeit der Volksbühne sind ebenfalls Bestandteil der Publikation.